Ist die Energiewende demokratisch?
Warum wir mit der Klimapolitik unzufrieden sind und wie wir selbst für mehr Klimaschutz aktiv werden
Wo liegen die Problempunkte bei der Energiewende in Deutschland? Inwiefern ist die Energiewende ein Demokratieprojekt und was sind die aktuellen Herausforderungen? Wo können jede Einzelne und jeder Einzelne ansetzen und sich engagieren? Tatsächlich gibt es bei diesem Thema ein gesellschaftliches Paradox:
Das soziale Nachhaltigkeitsbarometer der Energiewende 2018 zeigt, dass die Energiewende in allen gesellschaftlichen Gruppen mehrheitlich als Zielsetzung fest verankert und auch als positiv bewertet wird, jedoch ist mehr als die Hälfte der Bevölkerung parteiübergreifend mit der Energiewende-Politik unzufrieden. Dafür werden als Hauptkritikpunkte die Wahrnehmung eines nicht ausreichenden Klimaschutzes und eine soziale Schieflage bei den Verteilungswirkungen der Energiewende angegeben.
Verkomplizierend kommt hinzu, dass es wenig Eigeninitiative gibt, wenn es darum geht, was jemand persönlich für den Klimaschutz tut. Wie sieht es beispielsweise mit klimapolitischen Lösungsansätzen im privaten Haushalt aus? Dem Einsatz eigener Wind- und Solaranlagen? Vereinzelt investieren laut Nachhaltigkeitsbarometer heute insbesondere Besitzerinnen und Besitzer eines Eigenheims, doch für die Mehrheit käme dies nicht in Frage, da sie aufgrund ihres Mietverhältnisses keine Möglichkeiten sehen.
Zusammengefasst gibt es also Einigkeit darüber, dass der Klimaschutz wichtig ist, aber eine große Unzufriedenheit mit seiner politischen Umsetzung und zusätzlich wenig Mut, Wissen oder Bereitschaft, um selber Maßnahmen zu ergreifen.
Wie konnte es zu dieser Situation kommen? Laut Dr. René Mono müssen wir dazu einen Schritt zurückgehen, und uns zunächst über die Grundlagen unseres politischen und gesellschaftlichen Systems klarwerden.
Vortragsreihe „Energie und Gesellschaft: Fusion oder Spaltung?“
Im Wintersemester 2019/20 begann an der Universität Witten/Herdecke die Vortragsreihe „Energie und Gesellschaft: Fusion oder Spaltung?“ mit dem Ziel, dem Zusammenspiel zwischen Energiesystem und Gesellschaft anhand von Projekten, Partnerschaften und kommunikativen Formaten auf den Grund zu gehen und Lösungen zu finden. Dr. René Mono war im Rahmen der Vortragsreihe als Gastdozent zu Besuch, um zum Thema unter dem Vortragstitel „Inklusion statt Partizipation – der lange Weg zum Gemeinschaftswerk Energiewende“ zu referieren.
Die demokratische Dimension
Dr. René Mono, Geschäftsführer der 100% erneuerbar Stiftung, ist überzeugt, dass unsere Demokratieform für diese Schieflage in der Klimapolitik mitverantwortlich ist. Als Argumentation führt er den Ansatz des Demokratietheoretikers Robert Dahl an. Dahl war der Überzeugung, dass sich eine erfolgreiche Demokratie besonders durch zwei Grundsätze auszeichnet: Partizipation und Protest. Sind diese beiden Prinzipien erfüllt, könne Demokratie die soziale Gestaltung einer Polyarchie erreichen – einer Herrschaft vieler. Vereinfacht gesagt ist dies eine Herrschaftsform und Gesellschaftsordnung, in der möglichst viele mitmachen und die durch einen möglichst offenen Wettstreit der Widersprüche gekennzeichnet ist. Für das Erreichen des Idealtypus Polyarchie nennt Dahl fünf wichtige Prinzipien. Im Fokus von Mono steht dabei besonders das letzte Prinzip: die Inklusivität – die Gleichheit der einzelnen Bürgerinnen und Bürger in den politischen Prozessen. Von allen fünf Prinzipien, dessen vollständige Realisierbarkeit Dahl in der Praxis anzweifelte, ist die Inklusivität, auch laut Mono, am schwierigsten zu verwirklichen.
Ein Blick auf die deutsche Politik genüge, um sich der bestehenden Ungleichheit zu vergewissern. Im Bundestag sitzen deutlich weniger Frauen als Männer, ein geringer Teil an Menschen mit Migrationshintergrund und nur 31 Personen im Alter von 21 bis 29 Jahren. Wie repräsentativ ist also unsere parlamentarische Demokratie? Können wirklich die Interessen aller Bevölkerungsgruppen vom Parlament vertreten werden, wenn diese sich nur vereinzelt in den Reihen der Abgeordneten wiederfinden? Laut René Mono ist das nicht möglich, denn die aktuelle Verteilung der Sitze im Bundestag sei kein repräsentativer Durchschnitt der Gesellschaft und offensichtlich geprägt sowie eingeschränkt von sozial-strukturellen Bedingungen.
5 Prinzipien der Demokratie nach Robert Dahl
- Gleiche Gewichtung der Stimmen, in und zwischen den Wahlakten
- Ein aufgeklärtes Verständnis über politische Optionen
- Möglichkeit, Einfluss auf die öffentlichen Deliberationen zu nehmen
- Partizipation am öffentlichen Diskurs
- Inklusion: Gleichheit der einzelnen Bürgerinnen und Bürger in den politischen Prozessen
Zusammensetzung von politischen Abgeordneten als (negativer) Einflussfaktor
Stellt sich nun die Frage: Wie groß ist der Einfluss einer Unter- oder Überrepräsentation der politischen Vertreterinnen und Vertreter auf politische Entscheidungen? Durch das Konzept der substantiellen Repräsentation, bei dem nicht der einzelne Bürger bzw. die einzelne Bürgerin, sondern vor allem ihre Interessen vertreten werden sollen, müssten theoretisch alle Bevölkerungsgruppen abgedeckt sein. Jedoch zeigt eine empirische Studie der Cambridge University, dass zum Beispiel die Präferenzen von Frauen schlechter vertreten werden, als die von Männern. Des Weiteren würde der persönliche Hintergrund, das Geschlecht oder die Religion der Abgeordneten in Debatten eine große Rolle spielen.
Klimaproteste als Ausdruck der mangelnden politischen Repräsentation
Laut Demokratieforscher Lars Vogel zählt ebenfalls der sogenannte symbolische Wert als psychologische Komponente für Bürgerinnen und Bürger. Bedeutet: Selbst, wenn ein Abgeordneter oder eine Abgeordnete zwischen 21 und 29 Jahren nicht unbedingt die Interessen seiner oder ihrer Altersklasse vertritt, wird ihm oder ihr meist mehr Vertrauen geschenkt. Somit könnte ein Parlament, welches den Durchschnitt der Bevölkerung nicht optimal repräsentiert, durchaus problematisch für die Interessen der einzelnen sozialen Gruppen sein und ein Gefühl von Benachteiligung und Widerstand hervorrufen. Die regelmäßig stattfindenden Fridays for Future-Demonstrationen bestätigen dies. Die Klimastreik-Bewegung fordert härtere Gesetze und eine Politik, die dem Klimawandel gerecht wird. Die Einkreisung des Reichstagsgebäudes beim globalen Klimastreik im Juni 2019 diente als Protest und Zeichen der Unzufriedenheit mit den aktuellen Beschlüssen der Klimapolitik.
Die gesellschaftliche Dimension
Zu den Problemen bei den politischen Repräsentantinnen und Repräsentanten kommt der teilweise schwierige Zugang zu politischer Partizipation. Dr. Mono illustriert dies anhand der Prometheus-Studie, die das Partizipationsverhalten von Bürgerinnen und Bürgern untersuchte. Demnach hängt dies größtenteils von der Schichtzugehörigkeit und dem Bildungsniveau ab. In Duisburg zum Beispiel befindet sich laut Statistik das niedrigste Pro-Kopf-Einkommen und auch die geringste Wahlbeteiligung. Die höchste Wahlbeteiligung wie auch das höchste Pro-Kopf-Einkommen in Deutschland ist in München zu beobachten. Der Zusammenhang dieser zwei Merkmale wurde mit Hilfe des Korrelationskoeffizienten untersucht und statistisch bestätigt. In den Formen gesellschaftlicher Partizipation, so Mono, finde sich immer wieder das gleiche Gesetz des sozioökonomischen Standardmodells: Mehr Einkommen, Bildung und Kapital bedeute meist auch gleichzeitig mehr Partizipation. Besonders deutlich werde dies bei der Beteiligung an der Energiewende.
Der Politikwissenschaftler Jörg Radtke stellte in seiner Studie im Jahre 2016 fest, dass vor allem einkommensstärkere und formal besser Gebildete sich an der Energiewende beteiligen. Das Ideal der Integration aller Bevölkerungsgruppen wird demnach leider nur von Einzelfällen erreicht.
Wo kann ich anfangen?
Auch wenn es nach dieser Herleitung für die aktuelle Klimapolitik düster aussieht und wir mangels echter politischer Repräsentation und Inklusion aller Bevölkerungsschichten keine ideale Ausgangslage haben, gibt es dennoch für jeden und jede konkrete Optionen für mehr Klimaschutz.
Interessant dabei sind Projekte auf lokaler Ebene und außerhalb der politischen Programme.
Sie sind für Laien in der Regel besser verständlich und können mit einem konkreten Nutzen und Möglichkeiten zum Mitmachen motivieren. Dazu zählt zum Beispiel „Energie fürs Quartier“. Dabei kann man sich unterschiedlichen Teams anschließen, die sich für ein besseres Verständnis der Energiewende einsetzen. Im Ruhrgebiet gibt es etwa das Team „Sonne2Go“, bei dem Teilnehmende in Form von Workshops zu Energieproduzenten werden und erlernen, was in der Praxis benötigt wird, um seinen eigenen Strom von der Fensterbank zu beziehen.
Im Dortmunder Unionsviertel gibt es seit 2014 den gemeinnützigen Verein „die Urbanisten e.V.“, der seit kurzem das „Upcycling-Labor“ betreibt. Das Labor setzt sich mit kreativen Müll- und Verwertungsstrategien auseinander, denn die Auswirkungen des massiven Konsumverhaltens machen sich ebenfalls im Energieverbrauch und der CO2-Bilanz bemerkbar. Ziel des Labors ist es, Bürgerinnen und Bürgern ein Bewusstsein für die Zusammenhänge ihres Konsumverhaltens zu vermitteln und Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen.
Aber auch in den sozialen Medien gruppieren sich zahlreiche Aktivisten und Aktivistinnen, die über den Klimawandel aufklären, sich für umweltpolitische Ziele einsetzen und über das Mitwirken an zahlreichen Demonstrationen berichten. Plattformen wie Instagram oder Twitter sind wichtig, um eine große Reichweite an Menschen zu informieren und auch zu motivieren, sich aktiv zu beteiligen. Hier liefert zum Beispiel OZON regelmäßige Vlogs, Posts und Stories, die die Followerinnen und Follower über klimapolitische Themen aufklären sowie Zusammenhänge und Verbesserungsvorschläge für das eigene Handeln geben.
Die Gemeinschaftsaufgabe Klimaschutz
An sich ist die Hauptaufgabe der politischen Akteure klar: Die Zielsetzung des Pariser Abkommens soll eingehalten werden. Am Ende liegt es auch an uns, Initiative zu ergreifen, uns zu engagieren und zu informieren – etwa über unseren Energieverbrauch und die dazugehörigen Auswirkungen auf die Umwelt. Gut gerüstet kann so jeder und jede im Alltag Energie sparen, klimaschädlichen Konsum vermeiden und sich wie andere dafür motivieren, verantwortungsvoll mit unserer Umwelt umzugehen.
Über die Autorin
Laura Schwarz
Laura Schwarz studiert Philosophie und Sozialwissenschaften an der Ruhr-Universität Bochum und arbeitet als studentische Aushilfe für die Abteilung Kommunikation und Marketing an der Universität Witten/Herdecke.
Was denkst du?
Kannst du die Theorien von Dahl und Mono nachvollziehen? Wie findest du ihre Anwendung auf die aktuelle Klimadebatte? Kennst du weitere unterstützenswerte Klimaprojekte oder hast Tipps für den Klimaschutz "vor der eigenen Haustür"?
Ich freue mich über deinen Kommentar zu diesem Thema!
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