Vom Studenten zum Fachidioten?
Warum fachübergreifende Studienangebote so wichtig für den eigenen Berufsweg sind
Für viele ist die Suche nach einem passenden Studiengang schon schwierig genug. Andere wissen seit Kindheitstagen, dass sie Ärztin, Richter, Controller oder Grafikerin werden wollen. Aber wer sagt schon, dass er Generalist werden möchte? Oder vor allem wissenschaftliches Arbeiten und kritisches Denken erlernen will? Unsere Motivation, warum wir ein Studium beginnen, ist in erster Linie der spätere Beruf. Dementsprechend wählen Studieninteressierte ihre Uni nach fachbezogenem Interesse.
Diese Fokussierung – eigentlich mit den besten Absichten gewählt – erntet von Experten aus der Hochschullandschaft immer wieder Kritik. „Die Universität hat einen Teil ihrer Würde verloren. Statt die Berufsfähigkeit zu fördern, ethische Werte und eine für viele Berufe befähigende Bildung zu vermitteln, fördert sie die konkrete Berufsfertigkeit“, so beispielsweise Michael Hartmer vom Deutschen Hochschulverband in der Welt. „Die enorme Spezialisierung ist selbst in vermeintlich überblicksartig gehaltenen Fächern gang und gäbe“, sagt Sandro Philippi vom Freien Zusammenschluss von Studierendenschaften. Er erklärt dies anhand seines Fachs: „Ein Studiengang heißt zwar einfach nur Psychologie, aber es sind längst nicht mehr alle Facetten darin enthalten, die das Fach auszeichnen.“ Julius Seebach, Management-Experte und Buchautor, geht sogar einen Schritt weiter. Er argumentiert: „Wer sich auf Spezialisten verlasse, der würde Geld verpulvern und Ressourcen verschwenden.“
Verlassen nur noch Fachidioten die Universitäten?
Werden wir also im Turbo-Studium durch einen eng getakteten Studienverlaufsplan Richtung Abschluss gescheucht, damit wir als Spezialisten kleinteilige Arbeiten verrichten können ohne mal unsere Fachgrenzen zu verlassen? Fehlt uns ein spezielles Wissen, um in unserem späteren Beruf richtig gut werden zu können? Und überhaupt: Wie kommen diese Experten zu ihrem Urteil?
Fest steht, dass sich die Universität als Institution seit ihrer Gründung stark verändert hat. Noch vor rund 100 lag der Schwerpunkt nämlich nicht auf der Berufsvorbereitung. Das Studium sollte vor allem die Allgemeinbildung der Studierenden gestärkt sowie eine Persönlichkeits- und Menschenbildung ermöglichen. Alle Studierenden haben dieselben sieben Fächer (auch Sieben Freie Künste genannt) studiert: Grammatik, Rhetorik, Dialektik, Arithmetik, Geometrie, Musik und Astronomie. Erst danach konnte man einen Doktor in Medizin, Theologie oder Jura draufsetzen. Nur dauerte so ein Studium schnell über zehn Jahre – das Doppelte der Regelstudienzeit vieler moderner Studiengänge. Das können sich heute die wenigsten vorstellen – sowohl die Studierenden, als auch ihre späteren Arbeitgeber.
Studium generale, Komplementärstudium, Studium fundamentale
Heute sollte ein Studium weder einer Berufsschulausbildung ähneln, noch sollte man jahrelang in antiken Wissenschaftstheorien versinken müssen. Glücklicherweise haben das trotz (oder wegen?) Bologna-Reform auch Universitäten erkannt, sodass an manchen Universitäten teilweise schon seit vielen Jahren überfachliche Studienangebote konzipiert werden. Damit sollte ein Mittelweg zwischen Allgemeinbildung und Persönlichkeitsentwicklung sowie den Anforderungen an die aktuelle Universitäts- und Arbeitswelt ermöglicht werden.
Allerdings unterscheiden sich die Angebote teilweise stark voneinander. Egal, ob man noch auf der Suche ist, oder die Wunschuniversität schon gefunden hat: Es lohnt sich, nach Komplementärprogrammen wie in den folgenden Beispielen Ausschau zu halten.
Fachübergreifendes Vorstudium
Dasas Studium generale am Leibniz Kolleg in Tübingen findet in der Regel vor dem eigentlichen Fachstudium statt. Zehn Monate lang werden gemeinsam Geistes- und Naturwissenschaften, Rechts- und Sozialwissenschaften sowie Angebote in den Musischen Fächern sowie Sprachen studiert. Das Tübinger Studium generale hat zum Ziel „die Einführung in wissenschaftliches Denken und Arbeiten, die Schärfung von Wahrnehmung, die Stärkung von Selbstreflexion, die Einübung des Perspektivenwechsels, die Stärkung der reflektierenden Urteilskraft und die Übung der praktischen, politischen und ästhetischen Urteilsfähigkeit.“ Dies ähnelt dem ganzheitlichen Bildungsansatz der ursprünglichen Idee von einer Universität, jedoch mit vergleichsweise kleinem Zeitaufwand.
An der Leuphana Universität starten alle Erstsemester mit dem Leuphana Semester und lernen gemeinsam mehr über Verantwortung, wissenschaftliche Methoden und disziplinäre Grenzen. Die Uni legt Wert darauf, dass Studierende unterschiedlicher Fächer zusammen und voneinander lernen. So schaut man von Anfang an differenzierter auf das eigene Fach. findet:
„Das Verantwortungsmodul hat mir sehr gefallen, weil sich dadurch auch Nicht-Umweltwissenschaftler mit Nachhaltigkeitsthemen befassen mussten und dieses allgemeine Thema aus vielen Blickwinkeln, z. B. der BWL, betrachtet werden konnte.“ BWL-Student Kevin
Studium generale bzw. Studium fundamentale als Bestandteil des eigenen Studiengangs
Hochschulen wie die Bucerius Law School und die Universität Witten/Herdecke halten einen Teil des Studiums frei, damit Studierende über ihre Fachgrenzen hinausblicken können. Dabei gibt es unterschiedliche Schwerpunkte, die aber ein gemeinsames Ziel verfolgen: wissenschaftliche, kommunikative und künstlerische Verfahren, Methoden, Denk- und Handlungsweisen kennenlernen. Sie rücken das Fachstudium in einen größeren Kontext rücken und helfen, die Persönlichkeit der Studierenden weiterzuentwickeln. Die Universität Witten/Herdecke bezieht sich dabei explizit auf die oben genannten sieben freien Künste.
Eva Halbritter, Management-Studentin, meint:
„Studium fundamentale ist die Chance, mich zu entwickeln, indem ich verschiedene fachliche Denkweisen ausprobieren kann. Genau diese Kompetenz – das Zulassen und Anwenden unterschiedlicher Denkansätze – ist es, was eine Universität meiner Meinung nach leisten sollte: Sie sollte dabei unterstützen, zu einer komplexen, vielseitig ausgebildeten und interessierten Persönlichkeit zu werden.“
Medizin-Student Adrian Mak sagt sogar:
„Das Studium fundamentale ist für mich der ausschlaggebende Punkt, warum ich an die Universität Witten/Herdecke gekommen bin. Der Input und die Diskussion mit Dozierenden und anderen Studierenden helfen mir, mich trotz eines intensiven Medizinstudiums mit anderen Fachbereichen zu befassen. Warum ,nur‘ Medizin studieren, wenn man gleichzeitig auch so viel mehr haben kann?“
Und wenn jetzt immer mehr Universitäten sich auf ihr ursprüngliches Bildungsziel rückbesinnen und Studierende die daraus entstehenden Angebote gerne nutzen, dann kann die Kombination aus fachlicher und persönlicher Bildung den Berufsweg von jedem und jeder nur bereichern.
Über die Autorin
Katrin Schubert
Katrin Schubert ist an der Universität Witten/Herdecke in der Abteilung Kommunikation und Marketing als Referentin aktiv. Meistens beschäftigt sie sich damit, wie man die Uni-Homepage verbessern kann und welche Infos Studieninteressierte bei der Recherche nach Studiengängen benötigen. Außerdem hilft sie dabei mit, studentische Projekte und Forschungsvorhaben online zu kommunizieren.
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