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Blog Universität Witten-Herdecke | Wie digital sollte Pflege sein?

Flauschige Robbenbabys & humanoide Roboter: Wie digital sollte Pflege sein?

Ein persönlicher Blick auf die Zukunft der Pflege

Für diesen Blog-Beitrag wollte ich mich eigentlich ausschließlich mit dem viel diskutierten Thema Pflege auseinandersetzen. Genauer gesagt, mit der Pflege in Zeiten des digitalen Umbruchs. Als ich gerade versuchte, mich intensiver in die Thematik einzuarbeiten, schweiften meine Gedanken immer wieder ab. Ich musste mich an den vorherigen Tag zurückerinnern. Da hatte mich meine Mutter zu ihrem 72. Geburtstag eingeladen. Und weil sie trotz des doch amtlichen Alters topfit ist, habe ich nicht groß über diese beeindruckende Zahl nachgedacht. Bis ich mich für diesen Blogartikel mit Pflege von Angehörigen auseinandergesetzt habe. So wurde mir klar – Meine Eltern sind ganz schön alt geworden. Die Jahre sind, ohne sich groß bemerkbar zu machen, einfach so ins Land gezogen.

So kam dieser ständige Gedankensprung in meiner eigenen kleinen Lebenswelt zustande. Ich habe mich gefragt: Wie lange geht es meinen Eltern wohl noch gut? Was ist, wenn sie körperlich oder auch psychisch abbauen? Sich nicht mehr um sich selbst kümmern können? Solche Gedanken verdrängt man gerne und schiebt sie vor sich her. Von Jahr zu Jahr, von Geburtstagsfeier zu Geburtstagsfeier.

Dass ich meinen Eltern in schwierigen Situationen helfen würde, steht außer Frage. Doch helfen wollen und helfen können, sind zwei ziemlich unterschiedliche Dinge. Man sagt das so einfach: „Ich bin für sie da“. Doch in welchem Umfang eigentlich?

Ich habe mittlerweile auch eine Familie gegründet, habe einen Vollzeitjob und diverse Verpflichtungen. Wenn ich also genauer darüber nachdenke, dann sieht die Sache schon ein wenig anders aus. Außerdem: Wer weiß, wo ich in zwei Jahren stehe. Ein Kind mehr? Ein anderer Job? Eine andere Stadt? Mit Anfang 30 gehöre ich ja wohl schon noch zu der Nicht-festlegen-wollen-Generation – darauf bestehe ich!  

Mal im Ernst: Wie sieht die Pflege der Zukunft in Deutschland aus? Es gibt Kulturen und familiäre Konstrukte, da ist es von vornherein irgendwie klar. Eltern pflegen ihre Kinder und Kinder pflegen ihre Eltern. Aus Tradition. Man lebt gemeinsam an einem Ort und verbringt sein ganzes Leben miteinander. Und wie verhält es sich so bei uns? Meine Freunde sind zur Ausbildung oder zum Studium erstmal ausgeschwärmt. Berlin, München, London … Ozeanien. Bye bye Mum and Dad! Und da wo ich herkomme, will auch kein junger Mensch hin zurück.

Ich wohne in der Nähe meiner Heimat, aber wenn der Ernstfall eintritt, dann bin ich auf jeden Fall offen für Hilfestellungen. Mal abgesehen davon, dass meine Eltern eher nicht wollen, dass wir Kinder ihre körperliche Pflege übernehmen. Aber das ist ein anderes Thema. Doch wie könnten konkrete Hilfestellungen in Zeiten der Digitalisierung aussehen?  

Pflegende Angehörige sind oft die Entscheidungsträger

Ein Forscher der Uni Witten/Herdecke, Alexander Hochmuth, hat sich mit Digital Nursing beschäftigt. Seine zentrale Fragestellung lautete: Welche Erwartungen haben pflegende Angehörige in Bezug auf den Einsatz eines Assistenzroboters? Oder einfach ausgedrückt: Wie kann Robotik helfen und gestaltet werden, wenn du einen Menschen pflegen musst, aber aufgrund von Job, Familie oder räumlicher Distanz einfach nicht alles leisten kannst?  

Alexander Hochmuth hat die Arbeit verfasst, weil er im Rahmen seines Masterstudiums im Bereich Pflegewissenschaft feststellte, dass es eine Vielzahl an Diskussionen darüber gibt, wie wir die Pflegepraxis durch technische Innovationen verbessern können – vor allem im Kontext des demografischen Wandels. Laut Hochmuth bleibt aber die Perspektive pflegender Angehöriger weitestgehend unberücksichtigt. Studien zu Technikerwartungen von pflegebedürftigen Menschen gebe es bereits, aber auf pflegende Angehörige wurde nur beiläufig eingegangen. Dabei seien sie oft die Entscheidungsträger.

So kommen Fragen auf: Wenn es immer mehr alte Menschen gibt, wer soll sie pflegen? Wenn die Arbeitswelt von der jüngeren Generation verlangt, maximal flexibel zu sein, wer bleibt dann bei den Älteren? Ist die Digitalisierung dabei eine echte Chance? Jeder, der sich mit dem Thema auch nur ein wenig beschäftigt, merkt: Digitale Hilfsmittel wie Roboter sind natürlich kein Ersatz und werden sicher nicht ansatzweise dem gerecht, was Menschen vor allem emotional in der Lage zu leisten sind. Doch fragt man tagtäglich Pflegende, so äußern sie einige positive Aspekte.

Wie Roboter dabei helfen können, Menschen zu pflegen

Der Fokus liegt auf der Assistenzarbeit. Also der Unterstützung im oft anstrengenden Alltag von Pflegenden. Robotik könne zu mehr Autonomie, Lebensqualität und Teilhabe verhelfen, so die Aussagen der Befragten. Pflegende Angehörige haben zudem die Hoffnung, dass dadurch auch die bereits angesprochenen Veränderungen in einer familiären Struktur besser ausgeglichen werden können. Es wird erwartet, dass Roboter wichtige Aufgaben im Haushalt übernehmen oder beim Transport behilflich sind. Im Vordergrund steht die Mobilisation – beispielsweise der Transfer aus dem Bett in einen Rollstuhl, die Begleitung zur Toilette oder der Weg an die frische Luft.

Insgesamt muss man aber festhalten: Die meisten in der Studie befragten Personen äußerten vielfältige Bedenken gegenüber dem Einsatz von Robotik in der häuslichen Pflege. Deutlich wurde der Verlust von menschlichen Qualitäten. Die Abnahme von Zuwendungen und eine steigende Gefühllosigkeit wird vermutet. Angehörige weisen zudem auf die fehlende Spontanität und Flexibilität hin. Ein Roboter kann sich nun mal nicht in einen Menschen hineinversetzten. Er kann keine Gefühle, keine Tagesform erkennen. Er kann nicht darauf reagieren, wenn ein Mensch besonders viel Zuneigung braucht und wann es ihm vielleicht vergleichsweise gut geht. Wenn es um Vertrauen geht, wie bei der Medikamenteneinnahme oder bei der Intimpflege, so sind ganz schnell Grenzen erreicht. „Ein Assistenzroboter erkennt keine Gewohnheiten, Wünsche, Marotten oder Neigungen. Ein Roboter kann nicht individuell, spontan oder kreativ in unvorhersehbaren Situationen reagieren“, schreibt Hochmuth in seiner Studie.

Klar, es geht nun mal um die Achtung der menschlichen Würde, nicht um das Reparieren eines defekten Autos.

Roboter können dazu beitragen, dass wir uns in einer immer flexibler und globaler gestalteten Welt sinnvolle Unterstützung ins Haus holen. Doch, so finde ich zumindest, sollte ein Roboter keine menschlichen Gefühle vorgaukeln. Wir sollten als Gesellschaft nicht versuchen, durch technische Innovationen einen Menschen irgendwie zu ersetzen. Oder sogar versuchen, Pflegebedürftigen etwas vorzumachen, indem wir menschenähnliche Maschinen auf sie loslassen. Es gibt Technologien, wie sogenannte soziale Roboter oder humanoide Roboter mit Kommunikationsfunktion, die Erfolge in der Pflegepraxis zeigen. Die heißen dann Paro und sehen aus wie Robbenbabys. Oder Pepper – ein Roboter mit großen Kulleraugen im Dauergrins-Modus. 

Doch die Vorstellung, dass meine Eltern mit einem Kuschelroboter ausgestattet in ihrem Wohnzimmer hocken, macht mich irgendwie traurig. Generell hat mich die Auseinandersetzung mit dem Thema dazu gebracht, etwas weiter in die Zukunft zu blicken. Was möchte ich meinen Eltern zurückgeben, wenn es ihnen mal nicht mehr so gut geht wie heute? Am Ende müssen das natürlich die Pflegebedürftigen selbst entscheiden. Die (digitale) Zukunft wird es zeigen.

Mehr zum Thema

Wer sich weiter mit dem Thema Technik & Pflege beschäftigen möchte, dem empfehle ich den Übergabe-Podcast. In der 16. Folge geht es um Technologien im Bereich Demenz: https://uebergabe.de/podcast/ug016/.

Über den Autor

Malte Langer ist an der Universität Witten/Herdecke Referent für Kommunikation & Marketing.

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