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Blog Universität Witten-Herdecke | Community Health Nursing studieren und die Pflege verändern

Community Health Nursing studieren und die Pflege verändern

Expertinnen und Experten aus der Pflege glauben, dass der neue Masterstudiengang Community Health Nursing (CHN) das Pflegesystem verbessern wird. Frau Oberin Dr. Hartung vom DRK-Schwesternschaft „Bonn“ e.V. erklärt im Interview, warum CHN für die Zukunft der Pflege ein wichtiger Baustein sein wird und warum sie sich auf die ersten Absolventinnen und Absolventen freut.

Liebe Frau Dr. Hartung, welchen gesellschaftlichen Mehrwert sehen Sie im Studiengang?

Wir alle kennen die früheren Gemeindeschwestern. Lange hielten sie die Gesundheitsversorgung in Dörfern und Stadtteilen aufrecht. Sie kannten alle Bewohner und wussten um die Sorgen und Nöte jedes Einzelnen. Wo sie kamen, sprangen Sie mit Rat und Tat ein. Sie waren ein wichtiges Bindeglied der dörflichen und städtischen Gemeinschaft. Sie wechselten Verbände, impften Kinder, kontrollierten Blutdruck und Blutzucker und leisteten einsamen Menschen Beistand. Sie versorgten diejenigen, die nicht selbst zum Arzt fahren konnten und wurden somit für Patient und Arzt unverzichtbar. Auch wir Rotkreuzschwestern sind seit vielen Jahren in der Gemeindepflege tätig. Unsere erste Rotkreuzschwester war 1932 in Lissabon als Gemeindeschwester eingesetzt. Mit Einführung der Pflegeversicherung wurden die Gemeindeschwestern abgeschafft und hinterließen vielerorts eine große Lücke im Gesundheitssystem.

Spätestens durch die Corona-Pandemie wurde deutlich, welche Schwachstellen unsere Gesundheitsversorgung in Deutschland aufweist. In der durch das Virus aufgetretenen Problemlage wurde uns in medizinischen und pflegerischen Kontexten sehr deutlich, dass genau diese Instanz in unserem System fehlt und wir dringend eine gesamtdeutsche Diskussion über die Rückkehr der Gemeindeschwestern führen müssen.

Problematisch sind der demographische und epidemologische Wandel, die stadtteilbezogene Zunahme an Lebensalter und Krankheitslast, der zunehmende Mangel an pflegerischer und medizinischer Versorgung, die Fragmentierung und Zersplitterung der ambulanten Versorgung und die Zunahme gesundheitlicher und regionaler Ungleichheit. Gleichzeitig werden die häuslichen Bedarfslagen immer komplexer und es gibt immer mehr alleinstehende Unterstützungs- und Pflegebezieher.

Genau an diesen Stellen glaube ich, dass die Implementierung des Studiengangs nützlich ist und darin der gesellschaftliche Mehrwert liegt.

Sie zeigen sehr deutlich den Bedarf und die aktuell problematische Situation auf. Welche Bedeutung hat der Studiengang also konkret für das Pflegesystem?

Gefordert sind neue Versorgungskonzepte, die unterschiedlichen regionalen Bedingungen und Ungleichheiten gerecht werden, besonders auf komplexe Bedarfslagen abgestimmt sind, die wildwüchsiger Ambulantisierung entgegenwirken, den ambulanten Sektor in eine nutzerfreundliche, gemeinde-/ wohnortnahe Versorgungsstruktur überführen, die den Patientenwünschen entsprechen und einen Verbleib in der eigenen Häuslichkeit ermöglichen, die Arbeitsteilung zwischen Pflege und Medizin neu ausrichten und attraktive Arbeitsbedingungen bieten.

Wie können Absolvierende (bzw. Community Health Nurses) positiv auf die Gesundheitsförderung und Prävention von Patientinnen und Patienten wirken?

Die Ziele der gemeindenahen Versorgung sind die Stärkung der Primärversorgung und dass der Verbleib im häuslichen Bereich auch bei beginnendem Unterstützungs- und Pflegebedarf gewährleistet werden kann.

Darüber hinaus können die CHN in Anlehnung an die WHO Ziele unterstützen in den Bereichen

  • gesundheitliche Chancengleichheit
  • ein gesunder Lebensanfang
  • Gesundheit junger Menschen
  • altern in Gesundheit
  • Verbesserung der psychischen Gesundheit
  • Verringerung nichtübertragbarer Krankheiten
  • ein integrierter Gesundheitssektor
  • Qualifizierung von Fachkräften für gesundheitliche Aufgaben

 

Wie sind DRK-Schwesternschaften und die Universität Witten/Herdecke im Projekt CHN verbunden?

Wir als Rotkreuzschwestern übernehmen im Rahmen des Versorgungsauftrags im Normalfall und im Krisen- und Katastrophenfall auch Aufgaben der Kommunen. Diese sind u. a. die zentrale Rolle bei der Schaffung von nachhaltigen und zukunftsfähigen Gesundheitsstrukturen, die Gewährleistung einer guten Infrastruktur und Erreichbarkeit umfassender Primärversorgungseinrichtungen, die Vernetzung und Koordinierung einer flächendeckenden gesundheitlichen Versorgung der Bevölkerung und die Verzahnung der Leistungen und Akteure untereinander.

Genau an dieser Stelle zeigt sich die Stärke unserer Kooperation, indem wir, in Anlehnung an den Studiengang CHN, parallel ein Praxisfeld für CHN schaffen, damit unsere Kolleginnen und Kollegen, die das Studium abgeschlossen haben, nicht eine Praxis vorfinden, die mit den Inhalten ihres Studiums nichts zu tun haben.

Während einer Fachtagung zum Thema Community Health Nursing, lernte ich den Projektleiter Univ. Prof. Dr. Wilfried Schnepp von der UW/H kennen. Wir kamen schnell überein, dass die Vernetzung von Wissenschaft und Berufspraxis für die Entstehung eines neuen Berufsbildes von elementarer Bedeutung ist. So wurde die Idee für eine Kooperation geboren, die beiden Partnerinnen vielfältige Chancen eröffnen wird. Dabei kann die Expertise und Erfahrung der DRK Schwesternschaft „Bonn“ e.V., beispielsweise im Katastrophenschutz, gerade auch in der aktuellen Covid-19-Pandemie, als ein Themenbereich im Studium zur Community Health Nurse genutzt werden. Die DRK Schwesternschaft „Bonn“ e.V. verfügt darüber hinaus über unterschiedliche Einrichtungen und Institutionen, wie beispielsweise ambulante Pflegedienste, Tagespflegestätten oder stationäre Pflegeheime und einer großen Bildungseinrichtung. Diese stellen attraktive Praktikumsplätze für die CHN-Studierenden dar. Gleichzeitig wird der kontinuierliche und intensive Austausch zwischen der Praxis und der universitären Ausbildung dazu beitragen, die Entwicklung neuer Handlungsfelder zu forcieren und neuen Bedarfen anzupassen.

In welchen Arbeitsfeldern werden CHN-Absolventinnen und Absolventen bei Ihnen wirken?

Die CHN unterstützen Menschen in allen Lebens- und Alltagsspannen. Dazu zählt u. a. die Anleitung zum Selbstmanagement, die Gesundheitsprävention und Förderung und die Überprüfung des Gesundheitszustandes. Ebenso die Erhebung von Befunden und Durchführung gängiger Assessments, die Koordinierung und Steuerung der Versorgungsprozesse, die Erhebung von Gesundheitsbedarfen im Viertel und die Beratung, Schulung und Begleitung pflegender Angehöriger.

Aus meiner Sicht müssen bei der Gestaltung des Arbeitsfeldes folgende Gedanken als Grundlage dienen:

Gesundheit und Krankheit werden zu Hause bewältigt, die eigene Häuslichkeit ist ein wichtiger Gesundheitsstandort und die pflegerisch-medizinische Versorgung ist gemeinde- und wohnortnah ausgerichtet. Die Etablierung neuer Formen der Arbeitsorganisation wird angeregt, die personelle Kontinuität und Versorgungsqualität wird verbessert und Betroffene werden als Expertinnen und Experten für ihre Lebenslagen verstanden. Ihr Wissen, ihre Erfahrungen und Kompetenzen werden aktiv in die Problemlösung eingebunden. Voraussetzung dafür ist eine partnerschaftliche Beziehung.

Wo steht das Pflegesystem aus Ihrer Sicht in 10 Jahren?

Ich weiß natürlich nicht genau, wie das Pflegesystem in 10 Jahren aussieht, ich kann nur aufführen, was ich mir wünschen würde.

Wünschen würde ich mir, dass wir schon in den nächsten drei Jahren, nicht erst in 10 Jahren, klare Vorbehaltsaufgaben für die Pflege formuliert haben und dass die Pflege das umsetzen kann, wofür sie wirklich qualifiziert ist und was sie wirklich leisten kann; was wesentlich mehr ist. Der professionellen Pflege müssen endlich die Aufgabenbereiche zugestanden werden, für die sie auch qualifiziert sind. Diese gehen weit über Routinetätigkeiten hinaus. Z. B. Übernahme von Erstkontakt und weitere Beratung, Steuerung kompletter Versorgungsprozesse, die Umsetzung von Gesundheitsförderung und Prävention, die Beratung und Schulung zur Stärkung physischer und psychischer Gesundheit im Rahmen des Ressourcenerhalts und der Ressourcenaktivierung sowie die Beratung bei Unterstützungs- und Pflegebedarfen. Abgedeckt wird ebenfalls das komplette Patientenmanagement bei chronischen Erkrankungen, die zielgerichtete Angehörigenarbeit sowie die Planung und Umsetzung von Veranstaltungen zur Förderung des Gemeinwohls.

Darüber hinaus wünsche ich mir, dass die Berufsgruppe der Pflegenden in Eigenverantwortung über die Weiterentwicklung der Pflege entscheidet in Form einer Selbstverwaltung. Die CHN sollen sich so etablieren, dass sie nicht die Zuarbeitenden des ärztlichen Dienstes sind, sondern völlig selbstständig die oben beschriebenen Aufgabenfelder mit Leben füllen können.

Ich bin sehr zuversichtlich, dass Pflegende hierzu das nötige Wissen haben, um den Studiengang gut auf den Weg zu bringen.

Vielen Dank für Ihre Zeit und das Gespräch!

    Warum CHN studieren?

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