Direkt zum Inhalt der Seite springen

Blog Universität Witten-Herdecke | Lernen aus der Pandemie – Handeln für die Zukunft

Lernen aus der Pandemie – Handeln für die Zukunft

Präsidium der Uni Witten/Herdecke zu den Erkenntnissen und Chancen aus der Corona-Krise

Mit Blick auf ein weiteres Corona-Jahr 2021 und mit der Hoffnung auf ein langsames Abschwellen der gewaltigen Welle aus individuellem Leid und weitreichenden wirtschaftlichen, kulturellen und gesellschaftlichen Folgen rücken – hoffentlich – andere Aufgaben und Probleme für unsere Gesellschaft in den Mittelpunkt, die viele Jahre vernachlässigt wurden und aktuell „Corona-dominiert“ sind.

Hier lohnt eine Analyse.

In vielen Regionen und Nationen verlief in 2020 die Reaktion auf die ersten Hinweise und Erkenntnisse zu Corona ähnlich: Zunächst staunende Unterschätzung des Problems, dann rasches und erschrockenes Aufwachen und in der Folge intensive Mobilmachung individueller, institutioneller und politischer Energien und Reserven; und schließlich die noch andauernde Umsetzung von weitreichenden Maßnahmen unter enormem Handlungsdruck.

Warum sind wir zu diesen – bis vor kurzem nicht für möglich gehaltenen – Handlungsdimensionen fähig? Weil die Gefahr für „Leib und Leben“ so unmittelbar nicht nur „vor der Tür steht“ – sondern bereits mitten im Haus ist.

Wenn man die Corona-Krise mit der globalen Klimakrise und all ihren Folgewirkungen für den Erhalt planetarer Ressourcen vergleicht, dann wird Folgendes deutlich:

1. Die wissenschaftliche Datenbasis der weltweiten Klimaentwicklung ist seit Jahrzehnten um ein Vielfaches breiter und gründlicher erforscht und mit zunehmender Präzision analysiert als das immer noch junge bzw. „neue“ Corona-Virus.

2. So dramatisch die nun absehbaren ökonomischen Folgen von Corona und COVID-19 sein werden, die weltweiten wissenschaftlichen Berechnungsmodelle für die mittel- und langfristigen Folgewirkungen der sich abzeichnenden Klimakrise haben eine nochmals völlig andere Dimension. Und beide Problemstellungen verbindet eine entscheidende, bittere Erkenntnis: COVID-19 und Klimakrise sind keine linearen Phänomene – sie bauen sich zunächst langsam und dann mit rasch zunehmendem Tempo auf und schlagen schließlich mit aller Wucht zu. Anders gesagt: je später, je ambivalenter und halbherziger gehandelt wird, desto verheerender die Folgen.

3. Wenn es nun mit aller nationaler und internationaler Anstrengung und flankiert durch Impfkampagne und Medikamenten-Entwicklung gelingt, das Virus einzudämmen, dann kann – im positiven Fall – neue Reaktionsfähigkeit und Widerstandskraft gegenüber zukünftigen Pandemien aufgebaut werden. Dieses „Resilienzpotenzial“ gilt natürlich auch für ein mögliches Abwenden der Klimakatastrophe – und dennoch nur bedingt: ein mindestens moderater Anstieg der Meeresspiegel ist kaum noch aufzuhalten; und was bereits heute aus weltweit immer noch neu erbauten Kohlekraftwerken an Treibhausgasen emittiert wird, wird sich nicht mehr einfangen lassen.

Gleichwohl: Ein ähnlich dimensionierter Einsatz, wie wir ihn in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft für die Virus-Pandemie erleben, war bislang für den Klimaschutz nicht vorstellbar. Keine einzige Unterzeichner-Nation des Pariser Abkommens von 2015 hat die dort selbstgesetzten Auflagen bis heute erfüllt. Noch immer denken wir über zukünftige Klimafolgen überwiegend linear – und ignorieren die exponentielle Dynamik, in der wir uns seit mehreren Jahren befinden. So komplex die Auswirkungen der jetzigen Virus-Krise sind – die Langzeitfolgen einer weiter ungebremsten Erderwärmung werden uns noch deutlich mehr Lernfähigkeit, Freiheitsverlust und Wohlstandsverzicht abverlangen.

Analog zur Virus-Pandemie: Wer bei der Klimakrise so tut, als wäre sie noch vor der Tür, als hätten wir noch reichlich Reaktionszeit, als könnten wir vor allem auf die Innovationskraft zukünftiger Generationen spekulieren, der riskiert Gesundheit und Leben von vielen Menschen – nur mit viel größerer Hebelwirkung, was unser aller Zukunft angeht.

Sollten wir nun alle in kürzester Zeit Klimaforscher*innen werden? Natürlich nicht! Aber eine nachhaltige Bewahrung der Lebensgrundlagen für die kommenden Generationen bedeutet auch einen grundlegend anderen Umgang mit allen natürlichen Ressourcen; bedeutet neue und zukunftsfähigere Formen des Wirtschaftens und der Wertschöpfung; bedeutet neue Schwerpunktsetzungen für den Erhalt und die Wiederherstellung von individueller Gesundheit; bedeutet neue Formen der demokratischen Entscheidungsfindung, die auch hochkomplexe globale Problemstellungen im Sinne zukünftiger Generationen zu bewältigen vermögen: alles elementar wichtige Aufgaben, zu denen die Zivilgesellschaft von Hochschulen und somit auch von einer unternehmerischen UW/H wichtige Beiträge erwarten darf!

Anders formuliert: Die enorme Handlungsbereitschaft und -fähigkeit in diesen besonderen Zeiten, in dem besonderen Jahr 2020, sollte uns ermutigen! Ermutigen, nicht schnellstmöglich „zum Status quo ante“ zurückzukehren: zu einer Wohlstandsgesellschaft auf höchstem Niveau, die ausschließlich nachholt, was in einem „heruntergeregelten Leben“ in 2020 auf der Strecke geblieben ist.

Wir dürfen, können und müssen rasch lernen.

Lernen,

… dass unsere individuellen und kollektiven Verdrängungsmechanismen auch bei größten Herausforderungen denkbar gut funktionieren – und uns dadurch immer wieder in große Gefahr bringen.

… dass die internationale Wissenschaft auch im Sinne der Schwarmintelligenz zu außerordentlicher Vernetzungsleistung fähig ist, wenn sie maximal gefordert wird. Und dass diese Leistung abgerufen werden kann, wenn es darauf ankommt.

… dass kollektives nationales und internationales Handeln in größerem Umfang besser möglich ist, als bisher von vielen von uns angenommen. Und dass individualistisch geprägte Demokratien ebenso wie autokratisch gewachsene Nationen zu enormen Gemeinschaftsleistungen fähig sind, auf die wir – wenn es die Größe der Aufgabe erfordert – bauen dürfen.

… dass Wirtschaft und Wettbewerb mit aller gemeinsam zu tragenden Konsequenz auf die Menschen und auf den Erhalt unserer Lebensgrundlagen ausgerichtet werden können.

… wie sinnstiftend es sein kann, intensiver, zugewandter, fürsorglicher für andere – ältere Menschen, Kinder, bedürftige Mitbürgerinnen und Mitbürger, zukünftige Generationen – umzudenken und zu handeln.

Hier sind Schulen, Hochschulen und Universitäten gefordert.

Die UW/H will in diesem Kontext ein Ort sein, der Menschen zusammenführt, die nicht (nur) eine individuelle Nutzendimension verfolgen, sondern an den großen Fragen der Gesellschaft mitwirken können und wollen. Und dies nicht nur auf Basis einer fachlich exzellenten Ausbildung, sondern auch auf dem Fundament von persönlich gegründeten Werten und Haltungen und einem Portfolio von Kompetenzen, die unsere Handlungsfähigkeit in den gewaltigen Umbrüchen des 21. Jahrhunderts ermöglichen und stärken.

Die strategische Ausrichtung unserer Universität stringenter auf dieses Ziel auszurichten, den Beitrag zur Auseinandersetzung mit und Bewältigung von großen Herausforderungen im nächsten Jahrzehnt noch konkreter zu fassen und sichtbarer zu machen, ist eine Kernaufgabe in diesem Jahr 2021.

Herzliche Grüße

Martin Butzlaff       Jan Peter Nonnenkamp       Jan Ehlers       Dirk Jakobs

Schreibe einen Kommentar
* Pflichtfelder

Kommentare

Keine Kommentare vorhanden.