Gastbeitrag von Prof. Joscha Wullweber zur Schuldendebatte der Ampel-Koalition
„Wer jetzt spart und unzureichend investiert, hinterlässt zukünftigen Generationen eine schwächelnde Wirtschaft und einen Planeten, der auf den Kollaps zusteuert“
Die sich anbahnende neue Koalition aus SPD, Grünen und FDP hat sich vorgenommen, keine neuen Schulden zu machen. Ein fataler Fehler, warnt Prof. Dr. Joscha Wullweber vom Department für Philosophie, Politik und Ökonomik der UW/H. Generationengerechtigkeit sei nur möglich, wenn schnellstmöglich in eine klimafreundliche Modernisierung von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft investiert werde. Ein Gastbeitrag.
In der öffentlichen Debatte um die Aufnahme von Staatsschulden fehlt es an faktenbasierten Argumenten [1], das Thema wird häufig leider sehr ideologisch diskutiert. Bevor auf die notwendig aufzunehmenden Kredite zur Finanzierung eines angemessenen Klimaschutzes eingegangen wird, soll auf eine aktuelle Studie des Internationalen Währungsfonds (IWF) hingewiesen werden. Diese besagt, dass die Regierungen weltweit derzeit klimaschädliche Energieträger, also Kohle, Öl und Gas, mit jährlich etwa 5,9 Billionen US-Dollar subventionieren – das sind mehr als 11 Mio. US-Dollar jede Minute! Würden diese Subventionen abgebaut, wäre genügend Geld für die grüne Transformation und den Klimaschutz vorhanden, ohne dass irgendwelche neue Kredite aufgenommen werden müssten! Leider ist es aber umgekehrt: Der IWF Report geht davon aus, dass die Subventionen in fossile Brennstoffe sogar noch zunehmen werden [2].
Doch lassen wir diesen Punkt beiseite und konzentrieren wir uns auf das Thema Schuldenaufnahme: Hier wird klassischerweise argumentiert, die zusätzlichen Kredite, die der Staat heute aufnimmt, würden zukünftige Generationen belasten. Dementsprechend würde Generationengerechtigkeit bedeuten, keine neuen Schulden zu machen. Diese Aussage ist gleich in mehrfacher Hinsicht falsch. Ich beschränke mich im Folgenden auf fünf Punkte: Übersehen wird erstens, dass unzureichende Investitionen in den Klimaschutz große Klimaschäden und damit hohe Folgekosten verursachen. Die Folgekosten würden deutlich höher sein als die Investitionen selbst – etwa um den Faktor 5-20, wie der Report des ehemaligen Weltbank-Chefökonomen Stern auf knapp 700 Seiten im Auftrag der britischen Regierung durchgerechnet hat (Stern 2007) [3].
Zweitens sind Ausgaben für den Klimaschutz Zukunftsinvestitionen. Sie schützen nicht nur vor Klimaschäden (reduzieren also die zukünftigen Kosten), sondern leiten den notwendigen Umbau der bislang immer noch vor allem auf fossilen Brennstoffen basierenden Wirtschaft hinzu einer klimaneutralen und emissionsfreien Ökonomie ein und begleiten diesen. Klimaschutz ist eine große Chance, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu modernisieren. Wir haben ein Zeitfenster von etwa 10 Jahren, dieses auch zu nutzen. Die Privatwirtschaft selbst ist nicht in der Lage, diesen gewaltigen und systemischen Umbau der gesamten Wirtschaft allein zu stemmen, wie auch der Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) klarstellt [4]. Stern (2007) wird noch deutlicher:
„Der Klimawandel stellt das größte Marktversagen dar, das die Welt je gesehen hat” (Stern 2007: 40, Übersetzung JW).
Wir haben es laut Mark Carney, dem ehemaligen Gouverneur der Bank of England, mit einer „Tragödie des Horizonts“ (Carney 2015) zu tun [5]. Marktakteure selbst verdienen noch zu gut mit klimaschädlichen Produkten, als dass sie von allein umsteuern würden: „Die katastrophalen Auswirkungen des Klimawandels werden über den traditionellen Zeithorizont der meisten Akteure hinaus spürbar sein und künftigen Generationen Kosten auferlegen, für deren Behebung die heutige Generation keinen direkten Anreiz hat“ (Carney 2015, Übersetzung JW). Es ist also eine aktive, vorausschauend agierende Regierung gefragt, entsprechende Unterstützung, Anreizstrukturen (z.B. CO2-Preis), eine einzigartigen Infrastrukturoffensive und rechtliche Rahmensetzungen zu liefern, sowie den gesamten Transformationsprozess sozial gerecht und ausgleichend zu gestalten.
Drittens – und nun wird es etwas ökonomisch – kann sich der deutsche Staat derzeit zu Minuszinsen am Finanzmarkt Kredite beschaffen. Das bedeutet, deutsche Staatsanleihen sind so gefragt, dass Finanzakteure dem Staat Zinsen zahlen, um diese kaufen zu dürfen! Laut Reuters hat Deutschland durch seine Neuverschuldung (!) im Jahr 2020 zusätzliche Einnahmen von 7,1 Milliarden Euro generiert! Das ist kein kurzfristiger Effekt, da die Laufzeit von Staatsanleihen meist bei zehn Jahren liegt.
Viertens nimmt die Zins-Steuer-Quote, also der Anteil, den der Staat für seine Gesamtverschuldung an Ausgaben aufbringen muss, seit 20 Jahren beständig ab und könnte laut Handelsblatt bald ebenfalls negativ werden, also insgesamt Gewinn erbringen [6].
Fünftens ermöglichen Zukunftsinvestitionen, dass auch ebenso die Staatsverschuldung relativ zum Bruttoinlandsprodukt (BIP) abnehmen wird. Denn wenn grünes Wirtschaftswachstum generiert wird, nehmen die Schulden relativ zum BIP ab [7].
Sowohl der BDI als auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) schätzen den zusätzlichen staatlichen Förderbedarf für Klimaschutzmaßnahmen auf jährlich etwa 100 Milliarden Euro. Das ist deutlich mehr als bislang investiert wurde und auch deutlich mehr als die Koalitionsparteien in ihren jeweiligen Programmen einplanen.
Fazit: Wir haben die Wahl, entweder jetzt zu investieren, Wirtschaft, Staat und Gesellschaft zu modernisieren, fit für die Zukunft zu machen und eine Umwelt zu hinterlassen, in der zukünftige Generationen gut leben können – das wäre Generationengerecht. Oder jetzt zu sparen, die Modernisierung zu verpassen, den zukünftigen Generationen eine schwächelnde Wirtschaft und durch die Klimaschäden Folgekosten aufzubürden, die deutlich über das Maß der heutigen Investitionen hinausgehen würden und – das ist das größte Drama - einen Planeten zu hinterlassen, der immer unwirtlicher wird und immer stärker auf den Kollaps zusteuert. US-Präsident Biden hat den entscheidenden Moment, in dem wir uns heute befinden, begriffen. Er sagte:
„Die einfache Wahrheit ist, wenn wir jetzt diese Investitionen tätigen, mit Zinsen auf historisch niedrigem Niveau, werden wir mehr Wachstum, höhere Einkommen, eine stärkere Wirtschaft generieren und auch die Finanzen unseres Landes werden solider aufgestellt sein. […] Das größte Risiko ist nicht, zu viel Geld in die Hand zu nehmen — es ist, zu wenig Geld in die Hand zu nehmen“
Weiterführende Informationen
Weitere Informationen und Veranstaltungen zu diesem Thema finden Sie hier: www.uni-wh.de/crisis
Weiterführende Literatur:
Wullweber, Joscha (2021): Zentralbankkapitalismus. Transformationen des globalen Finanzsystems in Krisenzeiten, Berlin: Suhrkamp.
Quellen
[1] Ich bedanke mich ganz herzlich bei Junar Schmidt für das kritische Gegenlesen.
[2] Parry, Jan/ Black, Simon/ Vernon, Nate (2021): Still Not Getting Energy Prices Right: A Global and Country Update of Fossil Fuel Subsidies, IMF Working Paper, https://www.imf.org/-/media/Files/Publications/WP/2021/English/wpiea2021236-print-pdf.ash
[3] Stern, Nicholas (2007): The Economics of Climate Change: The Stern Review, Cambridge: Cambridge University Press.
[4| BDI (2021): Klimapfade 2.0. Presse-Statement, 21. Oktober, https://bdi.eu/media/presse/presse/downloads/Presse-Statement_Klimapfade_2.0_PK_final_Presseversion.pdf.
[5] Carney, Mark (2015): Breaking the tragedy of the horizon – climate change and financial stability, Speech by Governor of the Bank of England, at Lloyd’s of London, 29 September, https://www.bis.org/review/r151009a.pdf.
[6] Greive, Martin/ Hildebrand, Jan (2021): Bund könnte ab 2029 mit seinen Schulden Geld verdienen, in: Handelsblatt, 24. Februar, https://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/niedrigzinsen-bund-koennte-ab-2029-mit-seinen-schulden-geld-verdienen/26944698.html?ticket=ST-1412881-gSpM5lVg5Yfs9imis1Pl-cas01.example.org.
[7] Eine Diskussion zur Problematik der Messung des BIP, ebenso wie eine notwendige Problematisierung des Wachstumsbegriffs kann hier in der Kürze nicht geführt werden. Als Einstieg sei verwiesen auf Hickel, Jason/ Kallis, Giorgos (2020): Is Green Growth Possible? in: New Political Economy, 25 (4), 469-486.
Über den Autor
Univ.-Prof. Dr. habil. Joscha Wullweber
Joscha Wullweber ist Heisenberg-Professor für Politische Ökonomie und Transformation an der Universität Witten/Herdecke.
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