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Blog Universität Witten-Herdecke | „Ein Name schafft Identität“

„Ein Name schafft Identität“

Wie Julia Taubitz den Transitionsprozess zur Frau an der Uni Witten/Herdecke erlebt

Julia Taubitz studiert Pflegewissenschaft (M. Sc.) an der Uni Witten/Herdecke (UW/H), arbeitet als Dozentin an einer Pflegeschule in Bochum und befindet sich aktuell im Transitionsprozess zur Frau. Im Interview schildert die 39-Jährige, wie sie die Bedingungen für queere Student:innen in Witten verbessern möchte und welche Herausforderungen ihr im Alltag begegnen.

Seit 2021 ist Julia dein neuer Name. Bis es so weit war, ist sicherlich viel passiert – in dir, aber auch im Austausch mit deinem engsten Umfeld. Magst du deine Geschichte erzählen?

Ich hatte seit längerer Zeit das Gefühl, in einem totalen Ungleichgewicht zu sein. Trotz funktionierender Beziehung, gesunden Kindern – irgendwie war ich dauerhaft unzufrieden. Dann kam die Covid-19-Pandemie und hat mich und meinen bisherigen Lebensrhythmus aus dem Takt gebracht. Ich hatte eine Menge Zeit über mich und mein Leben bzw. Lebensentwurf nachzudenken. Ich habe mir dann therapeutische Unterstützung geholt und im Rahmen der Psychotherapie gab es dann die Diagnose. Seitdem ich weiß, was mit mir los ist, ist die Situation für mich und mein nahes Umfeld greifbar und auch bewältigbar.

Ich habe mich früh nach der Diagnose einer guten Freundin anvertraut, die auch heute noch mein „Safe Space“ an der UW/H ist. Sie ist eng in mein Engagement hier eingebunden.

Gibt es ein bestimmtes Vorurteil, das dir häufig begegnet?

Viele Menschen glauben, dass sich mit der Transition die Persönlichkeit ändert. Das passiert nicht. Die äußere Hülle ändert sich, aber nicht die Persönlichkeit an sich. Die Menschen, die mich vorher nicht mochten, mögen Julia jetzt auch nicht.

Wie nimmst du die Atmosphäre an der UW/H wahr?

Das Klima hier an der UW/H ist sehr wertschätzend – sowohl unter den Student:innen als auch im Austausch mit den Hochschullehrer:innen. Seit ich meine Geschichte öffentlich gemacht habe, ist das Feedback durchweg positiv. Ich werde glücklicherweise nicht angesprochen, als was ich mich definiere, denn es gilt als selbstverständlich, dass nicht nur in den Kategorien Mann/Frau/ divers gedacht wird. Die Studierendenschaft ist sehr viel bunter, als es oft den Anschein hat.

Ich bin in unterschiedlichen studentischen Gremien und Initiativen aktiv und stehe mit vielen Menschen im Austausch. Letztens habe ich mit der Initiative „Mit Sicherheit verliebt“, die Aufklärungsangebote für Schüler:innen organisiert, einen Vortrag zum Thema „Transidentität im Rahmen geschlechtlicher Vielfalt“ gemacht. Ich habe mich sehr gefreut, dass sie mich angefragt haben, auch das Feedback war durchweg positiv.

Wie hat die Universitätsgemeinschaft auf deinen neuen Namen reagieren?

Meine Erfahrungen sind durchweg positiv. Das liegt sicherlich auch daran, dass ich auch in meiner Persönlichkeit gereift bin und das Outing hier erst gemacht habe, nachdem ich in meinem engsten Umfeld „safe“ war. Erst als ich dadurch entsprechend gefestigt war, bin ich an die UW/H-Strukturen herangetreten und habe dort festgestellt, dass es hier durchaus noch Verbesserungsbedarf gibt.

Ich habe dann – auch dank der Unterstützung von verschiedenen studentischen Gremien – beschlossen, meine Geschichte öffentlich zu machen. Gemeinsam mit den studentischen Fachschaften der UW/H und Vertreter:innen des WittenLab haben wir uns in einem offenen Brief an das Präsidium gewandt, um die Problematik, der u.a. transidente Personen begegnen, deutlich zu machen und zu schauen, was wir verändern können.

Wo besteht konkret noch Verbesserungsbedarf, kannst du ein Beispiel nennen?

Gerne. Ich hatte mich im September 2021 an das Studierendensekretariat gewandt, dort erklärt, dass ich eine neue Identität und einen neuen Namen habe und gefragt, ob nicht die Möglichkeit besteht, Dinge anzupassen. Das war nicht der Fall, da das Studiensekretariat auf das noch nicht abgeschlossene Verfahren zur Vornamens- und Personenstandsänderung verwies. Dabei ist es beispielsweise bei Menschen, die sich scheiden lassen oder heiraten, auch kein Problem, den Namen anzupassen.

Konkret bedeutet das, dass ich noch immer meine alte E-Mail-Adresse verwenden muss und Semesterticktet und Student:innen-Ausweis weiterhin auf den alten Namen läuft. Das führt zu extremer Verwirrung und auch zu Schwierigkeiten, denn je weiter man sich als Person in diesem Prozess befindet, desto mehr verändert sich auch das Erscheinungsbild – mein Foto passt also gar nicht mehr zum Ausweis.

Jetzt habe ich das große Glück, dass ich selbstbewusst bin – aber wenn ich nachts in der S-Bahn kontrolliert werde und meinen Studierendenausweis bzw. das Semesterticket zeige, steht dort ein Name, der nicht zu der Person passt, die dort sitzt. Es gibt glücklicherweise Hilfsmittel, die Identität nachzuweisen (bspw. der Ergänzungsausweis der dgti), aber trotzdem ist das natürlich eine blöde Situation. Dieses Problem betrifft ja nicht nur mich, sondern auch Menschen, die andere Wege gehen: Dann sitzt beispielsweise Kai auf dem Sitz der S-Bahn, aber Katrin steht auf dem Studierendenausweis.

Ich habe mich im September 2021 hier geoutet. In meinem privaten und beruflichen Umfeld läuft alles über meinen neuen Namen. Und an der UW/H läuft meine Korrespondenz über die alte Identität. Das geht nicht,  vor allem da diese Prozesse an anderen Universitäten wesentlich flexibler und studierendenfreundlicher gehandhabt werden. Ein Name schafft auch Identität.

Hinweis der Redaktion: Zu den Hürden an der UW/H war Julia Taubitz auch mit dem Präsidium direkt im Austausch. Sie werden bereits bearbeitet und zeitnah umgehend behoben.

Bedauerst du rückblickend, dass du diesen Schritt nicht eher gegangen bist?

Gefühlt hätte ich es zehn Jahre eher machen können. Aber die Prozesse und Strukturen, die rundherum laufen, waren einfach anders – entsprechend groß war auch meine eigene Verunsicherung.

Ein Großteil der Problematik ist die unterschiedliche Rollenerwartung. Man kriegt bei Geburt ein Geschlecht zugewiesen, mit dem bestimmte Rollenerwartungen verbunden sind: Frauen sind so, Männer sind so. Man wird in diese Rolle hineingeboren, vielleicht auch hineinerzogen und stellt das zunächst gar nicht in Frage. Das Problem: Menschen können sich durch diese Rollenzuschreibungen nicht entwickeln. Wenn man sich davon nicht freimachen kann, ist es schwierig.

Inzwischen ist unsere Gesellschaft glücklicherweise etwas offener – auch wenn sich ingesamt sich noch viel tun muss. Da arbeiten wir dran.

Was können einzelne Personen tun, um euch dabei zu unterstützen?

Bei Personen, die sich in einem Transitionsprozess befinden, ändern sich die Lebensumstände häufig rasant. Daher ist es wichtig, Ruhe in diesen Prozess zu bringen. Am einfachsten ist es für Personen einen „Safe Space“ zu schaffen, in dem sie sich entwickeln können. Das können Orte, Strukturen aber auch Personen sein, die die Person auf ihrem Weg unterstützend begleiten. Eine vorurteilsfreie Haltung, offen für einen Lebensentwurf, den man vielleicht selbst nicht nachempfinden bzw. nachvollziehen kann, ist ebenfalls wertvoll.

 

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