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Blog Universität Witten-Herdecke | Studie zu dynamischen Fähigkeiten von Unternehmen

Wie sollten Unternehmen dynamische Fähigkeiten einsetzen?

Unternehmen in vielen Branchen haben derzeit Mühe, ihre Beschaffungsprozesse anzupassen. Angesichts der durch Covid ausgelösten (und in einigen Teilen der Welt durch den Brexit verstärkten) Krise verlangsamt sich die Beschaffung wichtiger Rohstoffe und Halbzeuge. Dadurch geraten Produktionsprozesse ins Stocken und Nachfrage kann nicht befriedigt werden. Viele Manager:innen treibt die Sorge, dass diese Krise kein einzigartiges Ereignis bleiben wird. Die Managementforschung kann dieses Problem aufgreifen, in dem sie zeigt, wie Unternehmen sicherstellen können, dass operative Prozesse – wie die Beschaffung – den Anforderungen eines dynamischen Wettbewerbsumfelds dauerhaft gerecht werden können.

Dynamische Fähigkeiten bieten eine Lösung für dieses Problem. Unter solchen Fähigkeiten versteht die Strategieforschung wiederkehrende kollektive Aktivitäten, durch die sich Unternehmen an veränderte Umweltbedingungen anpassen, neue Herausforderungen bewältigen und Chancen nutzen. Es gibt zahlreiche empirische Belege dafür, dass Unternehmen, die über dynamische Fähigkeiten verfügen, Anpassungs- und Leistungsvorteile erzielen können. Dynamische Fähigkeiten entstehen, wenn Unternehmen drei Arten von Aktivitäten ausführen: Sensing, Seizing und Reconfiguring. Sensing umfasst die Aktivitäten von Unternehmen, die darauf ausgerichtet sind, relevante Veränderungen und Chancen im Unternehmensumfeld zu erkennen. Seizing umfasst Aktivitäten zur Entwicklung neuer Wege, um auf beobachtete Umweltveränderungen zu reagieren. Reconfiguring umfasst Maßnahmen, die Veränderungen in bestehenden operativen Prozessen auslösen.

Trotz eines großen Forschungsinteresses an dynamischen Fähigkeiten wird noch immer diskutiert, wie dynamische Fähigkeiten aufgebaut sein müssen, um positive Effekte zu erzielen. Eine Position besagt, dass dynamische Fähigkeiten routinemäßig, d. h. häufig und in einer stark strukturierten Weise eingesetzt werden müssen. Die Gegenposition behauptet, dass ein solcher routinemäßiger Einsatz insbesondere in dynamischen Umfeldern keinen Vorteil bringen kann. Vielmehr sollten Unternehmen in einem sich schnell verändernden Umfeld auf nicht-routinemäßige, sondern experimentelle und halb-strukturierte dynamische Fähigkeiten setzen, um einen Vorteil zu erlangen.

Bislang gab es keine empirischen Studien, die untersuchen, wie diese scheinbar widersprüchlichen Positionen zusammenpassen. Unsere – Prof. Dr. Hendrik Wilhelm (UW/H), Prof. Dr. Indre Maurer (Georg-August Universität Göttingen) und Prof. Dr. Mark Ebers (Universität zu Köln) – kürzlich im Journal of Management Studies veröffentlichte Studie liefert erstmals empirische Belege für zwei zentrale Fragen in dieser Debatte: Setzen Unternehmen routinemäßige dynamische Fähigkeiten ein, um Veränderungen in operativen Prozessen zu erreichen? Unter welchen Bedingungen setzen Unternehmen routine- und nicht-routinemäßige dynamische Fähigkeiten ein?

Um diese Forschungsfragen zu beantworten, haben wir untersucht, wie 103 kleine und mittlere Unternehmen in Deutschland dynamische Fähigkeiten im Bereich der Beschaffung einsetzen. Wir fanden – unter Verwendung einer Fuzzy-Set Qualitative Comparative Analysis – vier verschiedene Typen dynamischer Fähigkeiten. Unternehmen, die in einem hochdynamischen Umfeld tätig sind, setzten einen der folgenden drei Typen von dynamischen Fähigkeiten ein.

  • Hoch strukturierte dynamische Fähigkeiten in hoher Frequenz ein, d. h. routinemäßige dynamische Fähigkeiten („Programmed“)
  • Halbstrukturierte dynamische Fähigkeiten in niedriger Frequenz ein („Adaptive“)
  • Halbstrukturierte dynamische Fähigkeiten in hoher Frequenz („Experimental“)

 

Schließlich haben wir auch Unternehmen gefunden, die eine spezielle Typ dynamischer Fähigkeiten in Umgebungen mit geringer Dynamik einsetzen („Analytic“). Hier setzen die Unternehmen alle drei Aktivitäten dynamischer Fähigkeiten in einer hoch strukturierten Weise, aber mit geringer Frequenz ein.

Im Gegensatz zur bisherigen Forschung zeigen unsere Ergebnisse also, dass die Umweltdynamik nicht zu bestimmen scheint, wie routinemäßig Unternehmen dynamische Fähigkeiten einsetzen. Von welchen anderen Faktoren hängt es also ab, wie Unternehmen dynamische Fähigkeiten einsetzen? Um diese Frage zu untersuchen, haben wir zusätzliche Daten erhoben und eingehende Fallanalysen mit 16 Unternehmen durchgeführt, die jede der vier oben genannten Konfigurationen abdecken. Auf dieser Grundlage haben wir ein theoretisches Framework entwickelt, das aufzeigt, wann Unternehmen eine bestimmte Konfiguration dynamischer Fähigkeiten einsetzen. Neben der Umweltdynamik kommen hierbei zwei weitere, unternehmensinterne Faktoren zum Tragen: (1) die Orientierung des Unternehmens (unternehmerisch oder problemgetrieben) und (2) der Umfang der Verfügbaren Ressourcen. Insgesamt hat unsere Studie also externe und internationale Bedingungen aufgedeckt, die Einfluss darauf haben, wann Unternehmen verschiedene Arten – routinemäßige oder nicht-routinemäßige – dynamischen Fähigkeiten.

Unsere Studie ist sowohl für die Theorie als auch für die Unternehmenspraxis von Bedeutung. Sie gehört zu den ersten, die empirisch zeigen, dass die – auf den ersten Blick diametral entgegenstehenden – Positionen in der theoretischen Debatte über dynamische Fähigkeiten beide ihre Berechtigung haben, und dass sie weniger widersprüchlich sind, als es den Anschein hat. Wir stellen fest, dass die Routinemäßigkeit dynamischer Fähigkeiten (in Bezug auf Frequenz und Strukturierung) unabhängig voneinander und über die drei konstituierenden Aktivitäten (Sensing, Seizing, Reconfiguring) hinweg variieren kann, so dass Unternehmen komplexere Konfigurationen dynamischer Fähigkeiten in Umgebungen mit hoher und niedriger Dynamik realisieren, als es die bisherige Forschung vorsieht. Darüber hinaus leisten unsere Ergebnisse einen Beitrag zum Verständnis von Faktoren im Unternehmen, die zu Heterogenität bei dynamischen Fähigkeiten führen. Unsere Studie hat auch Implikationen für Manager:innen, die dynamische Fähigkeiten in ihrem Unternehmen aufbauen wollen. So sollten Manager:innen, die Unternehmen in hochdynamischen Umfeldern leiten, berücksichtigen, wie die Orientierung ihrer Organisation (unternehmerisch oder problemgetrieben) und wie umfangreich die für dynamische Fähigkeiten verfügbaren Ressourcen sind, wenn sie sich zwischen einer mehr oder weniger routinemäßigen Gestaltung dynamischer Fähigkeitsaktivitäten entscheiden müssen.

Haben Sie Interesse an dem vollständigen Artikel? Besuchen Sie die Wiley-JMS-Website https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/joms.12789

Dieser Blogbeitrag ist die deutsche Fassung eines Beitrages, den die Autoren für den Management Studies Insights Blog des Journal of Management Studies verfasst haben.

https://managementstudiesinsights.com/

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