„Raus aus den Silos!“
Wie Politik der Klimakrise sozial gerecht begegnen kann
Wie sieht eine Klima- und Wirtschaftspolitik aus, die planetare Grenzen sowie gesellschaftliche Bedürfnisse und Gerechtigkeitsfragen ausgewogen im Blick hat? Wie viel Transformation ist kurzfristig umsetzbar und gleichzeitig ausreichend, um Klima- und Umweltneutralität zu erreichen? Und welche Handlungsspielräume gibt es, um eine nachhaltige und gerechte Transformation demokratisch zu gestalten? Darüber haben Expert:innen bei einer Veranstaltung der Uni Witten/Herdecke (UW/H) und der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik e.V. (DGAP) in der Bibliothek Witten diskutiert.
Der Anlass könnte aktueller nicht sein, begrüßte Prof. Dr. Joscha Wullweber vom Department für Philosophie, Politik und Ökonomik an der UW/H, das Publikum: „Erst heute war in den Zeitungen zu lesen, dass wir bis 2026 wahrscheinlich das 1,5-Grad-Ziel überschreiten werden.“
Abschied vom Narrativ des unendlichen Wachstums
„Der Vorzug kurzfristiger, ökonomischer Vorteile zu Ungunsten ökologischer und sicherheitspolitischer Gesichtspunkte in den vergangenen Jahrzehnten stellt unsere heutige Klima- und Energiepolitik vor enorme Herausforderungen“, beobachtete Dr. Kira Vinke, die als Leiterin des Zentrums für Klima und Außenpolitik der DGAP an der Podiumsdiskussion teilgenommen hat. „Gerade in wohlhabenden Industrienationen muss sich die Kostenkalkulation ändern, indem Klimafolgen und geopolitische Konsequenzen mitgedacht und eingepreist werden.“
Virtuell zugeschaltet war Dr. Kora Kristof, Leiterin der Abteilung Nachhaltigkeitsstrategien, Ressourcenschonung und Instrumente am Umweltbundesamt. Sie berichtete, wie breit gefächert die Problemfelder sind und an welch unterschiedlichen Stellen aufeinander abgestimmte Lösungen ansetzen müssen – etwa von der Mobilitäts- über die Energie- bis hin zur Ernährungswende oder in der Verbindung von digitaler und Nachhaltigkeitstransformation. Für die Politik bedeute dies: „Raus aus den Silos! Statt Einzellösungen von den Ministerien brauchen wir eine integrierte Politik, die von Anfang an soziale Gerechtigkeit mitdenkt.“ Dabei sollten wir uns vom Narrativ des unendlichen Wachstums auf einem endlichen Planeten verabschieden und entsprechend handeln: „Alle Systeme, die wir jetzt grundlegend umbauen, sollten wachstumsunabhängig angelegt werden.“
Das Problembewusstsein wächst, gleichzeitig steigen die Emissionen
„Die Geschichte der Klimapolitik ist eine Geschichte der Überlagerung durch andere Themen“, ergänzte Dr. Reinhard Loske, Senior Associate Fellow der DGAP, Publizist, langjähriger Bundestagsabgeordneter und Senator der Freien Hansestadt Bremen, in seinem Überblick über die klimapolitischen Entscheidungen der letzten Jahrzehnte. „Das Paradoxe: Wir haben einen enormen Zuwachs an Problem- und Verantwortungsbewusstsein, aber zugleich auch einen enormen Zuwachs an Emissionen.“ Doch es gebe auch „eine Quelle der Hoffnung“, so Loske weiter: „Wir haben auch einen enormen Zuwachs an Handlungswissen.“ Wir sollten dabei nur beachten, dass es keine Automatismen gebe, die bewirken, dass Klimapolitik wie von selbst den richtigen Lauf nimmt. Es brauche Gestaltungswille und politischen Mut.
Und was ist mit Ländern wie Südafrika, in denen Steinkohle gefördert werde, obgleich dort deutlich bessere Bedingungen für Solar- und Windstrom herrschen, heißt es aus dem Publikum? „Außenpolitisch sind wir in einer schwierigen Verhandlungsposition“, so Vinkes Antwort: „Wenn wir es in Deutschland nicht schaffen, aus der Kohle auszusteigen, obwohl wir die finanziellen und technischen Mittel dazu hätten: Wie sollen wir dies von anderen Ländern einfordern?“
Aufgabe der Uni Witten/Herdecke: Systemkritik
„Die Politik braucht mehr Druck, um am Thema zu bleiben“, resümierte Wullweber abschließend. Dabei sei auch die Uni Witten/Herdecke in der Pflicht, erklärte er mit Verweis auf ein Zitat von UW/H-Präsident Martin Butzlaff: „Wir brauchen mehr Systemkritik!“
Die Veranstaltung wurde organisiert vom Heisenberg-Lehrstuhl Politics, Transformation and Sustainability an der UW/H, der Bibliothek Witten und der DGAP.
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