„Datenspezialist:innen müssen die richtigen Fragen stellen können“
Daten prägen und verändern unser Zusammenleben massiv. Die intelligente Nutzung von großen Datenmengen wird immer wichtiger, um aus diesen verantwortungsbewusste Entscheidungen und notwendige Entwicklungsschritte für die unterschiedlichsten gesellschaftlichen Herausforderungen abzuleiten. Als eine der ersten Hochschulen in Deutschland bietet die Universität Witten/Herdecke den Studiengang Social Data Science an. Prof. Dr. Thomas Clauß verantwortet den Studiengang gemeinsam mit Jun.-Prof. Dr. Magdalene Silberberger und erläutert die Hintergründe.
Herr Prof. Dr. Clauß, warum haben Sie den Studiengang Social Data Science in Witten ins Leben gerufen?
Die Bedeutung von Daten nimmt tagtäglich in allen Bereichen zu. Wir hören von Unternehmen fast aller Branchen, dass sie großen Bedarf an Datenspezialistinnen und Datenspezialisten haben – und dass dieser stetig wächst. Bisher wird Data Science vor allem an technischen Universitäten unterrichtet, dort hat es auch seine Daseinsberechtigung. Klassische Data Scientists betrachten Daten jedoch häufig allein aus einer rein technischen Perspektive: Sie wissen, wie sie diese auswerten können. Zusätzlich braucht es Menschen, die Daten interpretieren und sinnvolle Handlungen in allen Lebensbereichen ableiten können.
… und da wollen Sie eine Lücke schließen?
Genau. Es fehlt an Menschen, die das große Ganze betrachten und vermitteln können zwischen den stark spezialisierten Data Scientists und den fachfremden Entscheider:innen. Wir möchten Brückenbauer:innen zwischen technischen und sozialwissenschaftlichen Disziplinen ausbilden, die datengetriebene und verantwortungsbewusste Entscheidungen treffen können.
Unser Bachelor-Studiengang Social Data Science ist in dieser Form einzigartig in Deutschland, weil er die zielgerichtete, umfassende Methodenkompetenz der Datenanalyse mit Grundlagen der Betriebswirtschaftslehre, Volkswirtschaftslehre, Politik und Ethik kombiniert.
Was haben Daten mit Ethik zu tun?
Lassen Sie mich das an einem Beispiel aus der Digitalisierung erläutern: Ein selbstfahrendes Auto trifft auf Basis von Algorithmen Entscheidungen. Die Entscheidungsmuster wurden ihm vorab von Menschen vorgegeben. Welche Entscheidung soll das Auto „treffen“, wenn es auf eine Person als Hindernis zusteuert, aber nur ausweichen kann, indem es andere gefährdet? Wie „entscheidet“ ein Algorithmus ethisch korrekt über Leben und Tod? Diese Frage ist alles andere als einfach zu beantworten. Und sie basiert auf den Daten, mit denen ich die Maschine füttere. Deshalb ist es wichtig, dass IT-Fachkräfte diese hochkomplexen Fragestellungen mitdenken und ethisch vertretbare Antworten darauf finden. Unser Selbstverständnis als Uni Witten/Herdecke ist, dass wir nicht nur qualifizierte Fach- und Führungskräfte ausbilden, sondern auch Entscheider:innen, die Probleme, Fragestellungen und gesellschaftliche Herausforderungen aus verschiedenen Blickwinkeln betrachten und die bestmögliche Lösung finden können.
Social Data Science ist Teil des neuen Studiengangmodells der Wittener Fakultät für Wirtschaft & Gesellschaft, bei dem Studierende nach zwei Semestern flexibel in einen anderen Bachelorstudiengang der Fakultät wechseln können. Welche Vorteile bietet das Modell?
Viele Schüler:innen wissen man am Ende einer Schulausbildung noch nicht, was sie studieren möchten oder sind zumindest nicht sicher, ob der gewählte Studiengang der richtige ist. Wie auch? Es treffen Menschen beispielsweise eine Entscheidung für Medizin, obwohl sie vorher noch nie was mit Medizin zu tun gehabt. Deshalb finde ich es absolut nachvollziehbar, dass Studienanfänger:innen sich oft nochmal neu orientieren.
Wir möchten Schulabgänger:innen die Wahlmöglichkeit geben, sich erst dann für einen Studiengang zu entscheiden, wenn sie ihre Stärken noch besser kennengelernt haben und wissen, welcher Fachbereich ihr Herz höher schlagen lässt.
Das Bachelor-Studienmodell spricht alle an: Personen, die noch unentschlossen ins Studium starten und solche, die schon genau wissen, wo die Reise fachlich hingehen soll. Zunächst entscheiden sich die Studierenden für ein Studienfach. Neben Social Data Science gibt es in Witten Bachelor-Studiengänge in den Fachbereichen Management, Wirtschaft, Politik, Philosophie, Recht, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit. Alle Studierende starten ab dem Wintersemester gemeinsam in ein Orientierungsjahr, in dem sie Grundlagen für ihr weiteres Studium sowie Einblicke in die Themen der fünf Studiengänge in dem Modell erhalten. In der anschließenden Vertiefungsphase können sich die Studierenden tiefer mit dem gewählten Fach auseinandersetzen oder flexibel in einen anderen Studiengang wechseln. Im Orientierungsjahr erbrachte Leistungen lassen sich auf das weitere Studium anrechnen, sodass sich die Studienlaufzeit bei einem Studiengangwechsel nicht zwangsläufig verlängert.
Social Data Science kann vollständig auf Englisch studiert werden – warum haben Sie sich für diese internationale Ausrichtung entschieden?
Die Welt ist zunehmend globalisiert. Deshalb müssen wir uns auf eine universelle Sprache verständigen – im Zweifel auf die englische. Ich gehe davon aus, dass sich das Studiensystem langfristig darauf einstellen muss, dass die Ausbildung auf Englisch stattfindet – insbesondere in technischen Bereichen. Die meisten Unternehmen, die im Bereich Digitalisierung als Vorreiter gelten, sind international aufgestellt. Auch der Fachkräftemangel im Bereich IT ist riesengroß, weshalb immer mehr Fachkräfte aus dem Ausland kommen.
Was heißt das für unsere angehenden Datenspezialist:innen? Erstens ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie mit englischer Literatur arbeiten, sehr hoch. Zweitens werden sie höchstwahrscheinlich in einem primär englischsprachigen Team arbeiten. Und drittens möchten sie vielleicht ins Ausland gehen. Auf all diese Szenarien bereiten wir sie mit einem englischsprachigen Studienangebot optimal vor.
Mit dem Studiengang ziehen wir junge Menschen aus aller Welt an und bilden sie zu technisch versierten, verantwortungsbewussten Fach- und Führungskräften aus, die komplexe Probleme aus unterschiedlichen Blickwinkeln betrachten und lösen können. So wollen wir auch den Wirtschaftsstandort NRW insgesamt stärken und fit für die Digitalisierung machen.
Mehr Infos zum Studium an der Fakultät Wirtschaft & Gesellschaft unter: www.uni-wh.de
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