Direkt zum Inhalt der Seite springen

Blog Universität Witten-Herdecke | „Man kann auch als Studi Nachhaltigkeit an der Uni vorantreiben“

„Man kann auch als Studi Nachhaltigkeit an der Uni vorantreiben“

Alumnus Domenik Treß über die Entstehung des Initiativlabors und der Vernetzungsstelle Nachhaltigkeit an der UW/H

 

Domenik Treß hat als erster Nachhaltigkeitsmanager der Uni Witten/Herdecke die ökologische Transformation des Universitätsbetriebs stark vorangetrieben. Wie es dazu kam und welche Erlebnisse ihn besonders geprägt haben, erzählt er im Interview.

Im Sommer 2016 hast du als Student der Philosophie, Politik und Ökonomik das Initiativlabor gegründet, um Nachhaltigkeit stärker an der Universität Witten/Herdecke (UW/H) zu verankern. Damals gab es an den meisten Universitäten noch kein Nachhaltigkeitsmanagement. Was hat dich dazu bewegt, aktiv zu werden?

Das war nicht allein meine Idee. Über die studentische Initiative Oikos waren damals schon alle Nachhaltigkeitsinitiativen der Uni unter einem Dach versammelt. In einem der Oikos-Projekte haben wir uns u.a. mit der Frage beschäftigt, wie wir das Thema über die Lehre hinaus in der betrieblichen Umsetzung stärken können.

Wir standen in engem Kontakt mit dem Netzwerk N – einem Netzwerk von jungen Menschen, die sich für Nachhaltigkeit und Klimaschutz an Hochschulen einsetzen. So lernten wir die Idee vom „Green Office“ aus den Niederlanden und Großbritannien kennen. Dabei handelt es sich um Nachhaltigkeitsbüros, die von Studierenden getragen werden. Das hat uns inspiriert, eine solche Idee auch hier umzusetzen. Schließlich passte das ideal zur UW/H – nach dem Motto: Man kann auch als Studi Verantwortung für die eigene Uni übernehmen und Nachhaltigkeit vorantreiben. Und so haben wir das Initiativlabor gegründet.

Damals hatte das Initiativlabor eine Doppelrolle: auf der einen Seite die Vernetzung von und Workshops für die Initiativen, damit nicht jedes studentische Projekt wieder bei Null anfängt und auf die gleichen Hürden stößt. Auf der anderen Seite eine Art Nachhaltigkeitsbüro, das Projekte für mehr Nachhaltigkeit auf dem Campus initiiert und begleitet.

Studierende bleiben nicht ewig an der Uni – wie seid ihr mit der Fluktuation umgegangen?

In der Tat haben wir die Erfahrung gemacht, dass studentisches Engagement sehr auf Semesterbasis funktioniert und dass es schwierig ist, wenn ehrenamtlich aktive Studierende alleine die Verantwortung tragen. Deshalb haben wir gemeinsam mit der Universitätsleitung beschlossen, studentische Hilfskräfte für das Initiativlabor einzustellen. So konnten wir eine Institution einrichten, die zwar in studentischer Verantwortung liegt, aber mit einer langfristigeren Verpflichtung einhergeht – so, wie es schon bei der Studierendengemeinschaft gut funktioniert.

 

2021 hat die UW/H eines der nachhaltigsten Hochschulgebäude Deutschlands eröffnet. Du warst ab 2016 Teil des Projektteams – was war dir in der Bauphase wichtig?

Ich hatte im Team vor allem den Nachhaltigkeitshut auf. In frühen Phasen ging es eher um die großen Fragen. Zum Beispiel darum, unser Nachhaltigkeitsverständnis zu definieren aber das dann auch auf die Campusplanung zu übertragen, etwa für ein nachhaltiges Mobilitätskonzept.

Im späteren Verlauf ging es mehr um technische Komponenten und um die Nachhaltigkeitszertifizierung. Da habe ich mich viel mit Details beschäftigt – etwa mit der Planung der Solaranlage oder der Frage, ob wir Abhangdecken reduzieren können, um Material zu sparen und damit den Ressourcenverbrauch zu verringern.

Zudem war es uns als Projektteam wichtig, die Universitätsgemeinschaft von Anfang an eng einzubinden. Insgesamt haben über 300 Studierende, Lehrende und Mitarbeitende aktiv an der Konzeption und Planung des neuen Gebäudes mitgewirkt. Denn auch das ist ein Aspekt von Nachhaltigkeit: Je mehr man darauf achtet, dass die Bedürfnisse der Menschen, die später in dem Gebäude lernen und arbeiten, auch erfüllt werden, desto weniger Raum verschenkt man.

Die Studierenden haben sich zum Beispiel gewünscht, dass die Wasserhähne so angebracht werden, dass sie ihre Trinkflaschen dort mit Leitungswasser auffüllen können. Ich erinnere mich noch, wie wir mehrere Wasserhähne und Waschbecken als Muster bekommen und getestet haben, ob die Flaschen wirklich unter die Hähne passen.

Worüber freust du dich am meisten, wenn du heute durch den fertigen Neubau gehst?

Das Highlight ist für mich die Tatsache, dass es ein Holzhybridbau geworden ist. Das war nicht von Anfang an klar, es gab zunächst viele skeptische Stimmen. Mit der Zeit hat sich der Holzhybridbau aber ganz von alleine als der Lieblingsentwurf durchgesetzt. Damit wurde nicht nur das Konzept mit der besten Klimabilanz umgesetzt, sondern auch das qualitativ hochwertigste. Insbesondere die Innenarchitektur überzeugt alle, mit denen ich bisher gesprochen hat. Für mich passt es auch zu den Werten der Uni, dass wir auf die inneren Qualitäten gesetzt haben.

 

Später wurdest du der erste Nachhaltigkeitsmanager der UW/H. Welche Themen waren dir damals besonders wichtig, und was hast du angestoßen?

Wir waren nach der Planung des Neubaus an dem Punkt, dass wir zwar ein innovatives, ökologisch ausgerichtetes Hochschulgebäude auf den Weg gebracht hatten, aber die Universität als Ganzes noch nachhaltiger gestalten wollten. Deshalb haben wir die „Vernetzungsstelle Nachhaltigkeit“ geschaffen, die Dr. Annaliesa Hilger seit Juni 2021 leitet. Hier ist auch das weiterhin von studentischen Mitarbeiter:innen geleitete Initiativlabor angedockt, das sich auch heute darauf konzentriert, studentische Initiativen zu unterstützen und zugleich zur Nachhaltigkeitsentwicklung der Uni beiträgt.

Uns war es wichtig, eine dezentrale Stelle einzurichten – daher haben wir den Bereich nicht „Nachhaltigkeitsbüro“ oder „Nachhaltigkeitsmanagement“ genannt, sondern eben „Vernetzungsstelle Nachhaltigkeit“. Denn die schlimmsten Nachhaltigkeitsstellen sind die, die man schafft, um sagen zu können: „Da ist jemand, der sich darum kümmert und deshalb müssen wir das nicht mehr tun.“ Um das zu verhindern, erarbeitet die Vernetzungsstelle mit allen Abteilungen individuelle Konzepte, statt fertige Lösungen vorzugeben. Die Ziele jedes Bereichs fließen in eine gemeinsame Roadmap ein; parallel wird das Thema durch gezielte Maßnahmen von der Vernetzungsstelle vorangebracht.

Diesen „whole institution-approach“ gibt es zwar häufiger, trotzdem glaube ich, dass er in Witten besonders gut funktioniert. Je größer eine Universität ist, desto geschlossener können Silos sein und desto weniger funktioniert es, die vielen dezentralen Ideen zu einem großen Ganzen zusammenzuführen.

Neben der kleinen Größe war es auch von Vorteil, dass es an der UW/H von Anfang an eine Offenheit und Bereitschaft gab, das Thema gemeinsam anzupacken. Das ist nicht selbstverständlich, wie ich in vielen Gesprächen mit anderen Hochschulen erfahren habe.

Du hast dich am ZNU, dem Zentrum für Nachhaltige Unternehmensführung der UW/H, als Nachhaltigkeitsmanager qualifiziert. Was hast du davon mitgenommen?

Wir waren stets im engen Austausch mit dem ZNU. Der Managementteil – also die Frage, wie man als Organisation in Bewegung kommt – lässt sich auf eine unternehmerische Universität wie unsere gut übertragen. Trotzdem ist das Nachhaltigkeitsthema hier ein anderes als in einem Produktionsbetrieb, weil es nicht nur um ein Produkt geht, sondern beispielsweise auch um die Frage, wie unsere Bildung und Forschung zu einer Nachhaltigkeitstransformation der Gesellschaft beitragen kann. Das ist nochmal komplexer, als nur ein Produkt mit einer möglichst niedrigen Klimabilanz her- und darzustellen.

 

Nach deiner Zeit in Witten hast du in Schweden deinen Master in Nachhaltigkeitswissenschaften und Umweltstudien gemacht. Heute bist du bei NRW.Energy4Climate. Was möchtest du in deinem Job vorantreiben?

Ganz grob geht es in meinem Themenfeld um die Frage, wie NRW als Industrieland eine langfristig klimaneutrale Wirtschaft fördern kann – also um die Industrietransformation. Gemeinsam mit industriellen Akteur:innen und der Politik erstellen wir Positionspapiere und sind in Arbeitsgruppen und Netzwerken als Vermittler:innen aktiv. Während die meisten meiner Kolleg:innen aus dem Ingenieurwesen kommen, bearbeite ich das Thema aus sozialwissenschaftlicher Perspektive. Ich beschäftige mich zum Beispiel mit Fragestellungen wie dem Strukturwandel nach dem Kohleausstieg oder der Akzeptanz und Förderung von neuen Technologien wie Wasserstoff oder der Speicherung von Kohlendioxid im Untergrund.

Aktuell mache ich mir viele Sorgen um die Polarisierung, von der zu viele Beharrungskräfte profitieren. Je eher wir es schaffen, nicht zu polarisieren, desto eher meistern wir die Transformation auch langfristig. Ich bin deshalb ein Verfechter davon, jene Kräfte zu stärken, die etwas ändern wollen.

Wann entstand bei dir der Wunsch, sich für eine nachhaltigere Welt einzusetzen?

Für mich hat es als Jugendlicher angefangen: Mir wurde damals klar, dass es hier um meine Zukunft geht und die nächsten Jahre entscheidend sind. Am Ende meines Lebens möchte ich zurückschauen und sagen können: Ich habe meinen Teil dazu beigetragen, dass ein gutes Leben auch in Zukunft möglich ist.

Wie geht es dir mit Blick auf die Klimakrise? Bist du eher hoffnungsvoll, eher verzweifelt – oder beides?

Wenn man sich mit meinem Themenfeld beschäftigt, hat man immer wieder Momente, wo man denkt: Ich weiß nicht, wie wir das noch hinbekommen sollen, wir haben so viel Zeit verloren. Es ist seit Jahrzehnten klar, dass dringend etwas passieren muss, aber als Gesellschaft schaffen wir es einfach nicht, ausreichend schnell darauf zu reagieren.

Trotzdem komme ich aus diesem Tal immer wieder heraus, weil für mich klar ist, dass das nichts an der Tatsache ändert, dass es jetzt wichtig ist, zu handeln. Egal wie viel Zeit verloren ist, auch wenn das 1,5-Grad-Ziel nicht mehr zu halten ist: Es zählt jedes Zehntel Grad. Es macht einen Riesenunterschied für unsere Lebensqualität, ob wir in einer Welt mit 1,7 Grad oder 3 Grad Erwärmung alt werden. Dieses Wissen treibt mich immer wieder aufs Neue an.

Kennen Sie schon die neue „Wittenswert“?

Themenfeld: Transformation & Nachhaltigkeit

  

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus der aktuellen Ausgabe der „Wittenswert“. Das neue Magazin für Förderer und Partner:innen zeigt auf, wie die UW/H die sozial-ökologische Transformation vorantreibt.

Lesen Sie u.a., wie die UW/H mit der SWITCH-Konferenz den Startschuss für eine wegweisende Bewegung für planetare Bildung gegeben hat und wie Forscher:innen mit dem fakultätsübergreifenden Forschungszentrum [tra:ce] den sozial gerechten, ökologischen Wandel vorantreiben. 

Sie können das komplette Magazin hier als Pdf einsehen.

Schreibe einen Kommentar
* Pflichtfelder

Kommentare

Keine Kommentare vorhanden.