Direkt zum Inhalt der Seite springen

Blog Universität Witten-Herdecke | Treffen sich ein Arzt und ein Informatiker

Treffen sich ein Arzt und ein Informatiker

Interdisziplinäre Forschung zur Digitalisierung im Gesundheitswesen an der UW/H

Die Digitalisierung ist allgegenwärtig und spielt auch in der Gesundheitsversorgung eine zunehmend wichtigere Rolle. Doch was bedeutet das für die Art der medizinischen Versorgung und welche Auswirkung hat es auf uns als Menschen? Der Arzt Leonard Fehring und der Informatiker Sven Meister forschen gemeinsam an der Mensch-Technik-Schnittstelle im Gesundheitssystem und haben diese Fragestellung beleuchtet.

Was verändert sich?

Ein wesentlicher Aspekt, der durch die Digitalisierung verändert wird, ist das  Beziehungsverhältniss in der Medizin. Im Fokus stand bisher die Mensch-Mensch-Interaktion, bei der der Eine als „empathischer Sensor“ versucht, die Situation des Anderen bestmöglich zu erfassen, um Therapievorschläge zu machen. Dieses seit Jahrhunderten bestehende Beziehungsmuster wird mehr und mehr durch die aufkommende Digitalisierung verändert.

Leonard Fehring: „Die Medizin ist traditionell sehr analog. Wir wollen unsere Patient:innen sehen und berühren. Sprüche wie „keine Diagnose durch die Hose“ verdeutlichen unser ärztliches Leitbild. Die körperliche Untersuchung und das persönliche Gespräch sind ein essentieller Bestandteil unseres täglichen Handelns. Im Rahmen der Digitalisierung ist es aber mittlerweile möglich, Diagnosen per Videosprechstunde zu stellen, durch Roboter und künstliche Intelligenz assistierte Operationen durchzuführen oder per Telemedizin Vitalparameter von Patienten:innen fern zu überwachen. Die alten Papierakten wandern in die Archive und die Dokumentation wird digital. Das heißt, die Mensch-Technik-Interaktion wird zunehmend für alle Beteiligten im Gesundheitssystem ein alltägliches Phänomen. In meiner täglichen Arbeit stelle ich aber immer wieder fest, dass sich nicht alle Spieler:innen im Gesundheitssystem leicht mit dem digitalen Wandel tun.“

Sven Meister: „Digitalisierung erscheint unseren Medizinstudierenden häufig eine freiwillige Option zu sein, was jedoch nicht stimmt. Es gibt gesetzlich festgeschriebene digitale Strukturen, zum Beispiel die Telematikinfrastruktur (TI), welche von allen Versorgenden für einen sicheren Datenaustausch verwendet werden muss. Die TI ermöglich die Ausstellung von elektronische Rezepten (eRezepten), die Nutzung der Elektronischen Patientenakte (ePA) oder die Erstellung von elektronischen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen (eAUs). Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach wird mit dem Digitalgesetz und dem Gesundheitsdatennutzungsgesetz die Notwendigkeit zur Digitalisierung in der ambulanten sowie stationären Versorgung weiter forcieren.“

Welchen Vorteil kann es bringen?

Die Digitalisierung des Gesundheitssystems verspricht eine Steigerung der Effizienz und Effektivität, die den Fachkräftemangel adressieren und die Herausforderungen des demografischen Wandels abfedern soll. Wissenschaftliche Evidenz gibt es dafür allerdings bisher leider erst wenig. Hier setzt die gemeinsame Forschung von Leonard Fehring und Sven Meister an. Sie wollen verstehen, wie die Digitalisierung die Beziehungskonstrukte und Interaktionsformen im Gesundheitssystem verändert und welche Auswirkungen dies auf die beteiligten Menschen und die medizinische Versorgung hat.

Leonard Fehring und Sven Meister: „Als Wissenschaftler suchen wir Nachweise für digitale Leistungsversprechen, die gegeben werden. Selbstverständlich vermuten auch wir an einzelnen Stellen positive Effekte auf die Versorgung, doch oft sind diese schwer zu quantifizieren. Um Menschen bei dem neuen Umgang mit Technik in der Medizin unterstützen zu können, müssen wir verstehen, welche Wünsche, Ängste, Intention und Motivation diese haben. Durch unsere sich unterscheidenden Professionen bringen wir einen breiten Blick auf Mensch und Technik mit, ohne die Versorgungsrealität aus den Augen zu verlieren.“

Die beiden Wissenschaftler verwenden qualitative und quantitative Methoden, um Erkenntnisse über die verschiedenen Beteiligten im Gesundheitssystem zu generieren. Beispielhaft wird die Akzeptanz von Mediziner:innen zur Digitalisierung in der ambulanten Versorgung gemeinsam mit dem Institut für Allgemeinmedizin und ambulante Gesundheitsversorgung (IAMAG) der UW/H untersucht. Auf Seiten der Patient:innen wird geschaut, welche Faktoren die Akzeptanz der Nutzung digitaler Anwendung beeinflussen. Zuletzt ließen sie im Rahmen einer gemeinsam betreuten Promotion von Marie Uncovska die Wahrnehmung der Nutzenden gegenüber sog. DiGAs (Digitale Gesundheitsanwendungen) untersuchen. Hierbei handelt es sich um auf Rezept verschreibbare und durch die gesetzlichen Krankenkassen refinanzierte Apps. Das Team konnte die Ergebnisse erfolgreich im renommierten Journal Nature npj Digital Medicine (IF 15.3) veröffentlichen.

Was wird zukünftig noch kommen?

Leonard Fehring: „Meine bisherige Forschung hat sich vor allem auf die neuen Digitalen Gesundheitsanwendungen, „die Apps auf Rezept“, konzentriert. Zukünftig möchte ich gerne noch mehr darauf fokussieren, wie die Verfügbarkeit von wichtigen medizinischen Informationen zu einzelnen Patient:innen besser verfügbar gemacht werden kann. Dazu möchte ich gerne einen bundeseinheitlichen Diagnosenkopf etablieren. Faszinierend finde ich die großen medizinischen Datenmengen, die im Rahmen der Digitalisierung entstehen. Diesen „Datenschatz“ möchte ich gerne in den nächsten Jahren weiter heben, um neue medizinische Forschungsergebnisse zu generieren. Wichtig ist mir dabei eine perspektivenreiche und interdisziplinäre Arbeit.“

Sven Meister: „Seit 2021 konnte der Lehrstuhl sechs Projekte im Bereich der Digitalisierung einwerben. Zuletzt ein Projekt gemeinsam mit der KVWL und der Ärztekammer Westfalen-Lippe zur Qualifizierung von MFAs als Digi-Manager:innen sowie das Datenkompetenzzentrum zur interprofessionellen Gesundheitsdatennutzung. Es zeigt sich also, dass Digitalisierung auch an der UW/H stattfinden kann und muss. Dies nicht nur in der Forschung, sondern ebenso durch Angebote in der Lehre. Gemeinsam betreue ich mit Leonard Fehring eine Vielzahl von Promovierenden, eine Betreuung, in welche wir unsere jeweiligen Stärken einbringen. Eben solche Kooperationen werden weiter gestärkt werden, denn auch außerhalb dieses Beitrags finden sich an der UW/H, den Forschungs- und Lehrpraxen sowie den Lehrkrankenhäusern digitale Innovationen, welche die Art der Gesundheitsversorgung verändern und bestenfalls verbessern.“

 

Leonard Fehring

Leonard Fehring ist Arzt in der Inneren Medizin am Helios Universitätsklinikum in Wuppertal. Er arbeitet aktuell an seiner Habilitation zum Thema „Der Faktor Mensch bei der Digitalisierung von Gesundheitssystemen“ in Kooperation mit dem Lehrstuhl für Gesundheitsinformatik. Vor seiner Tätigkeit als Arzt hat er mehrere Jahre als Projektleiter bei der Unternehmensberatung McKinsey&Company gearbeitet. Hier hat er zahlreiche Spieler:innen im Gesundheitssystem wie Krankenkassen, Pharmaunternehmen und Health-Tech Firmen zu Digitalisierungsthemen beraten.

Was ihn treibt: „Die Medizin von Morgen hat viel zu bieten, aber leider braucht die Implementierung von Innovationen in den klinischen Alltag häufig lange, weil Menschen eine gewisse Skepsis gegenüber Wandel haben. Ich möchte gerne Menschen aller Altersklassen und Hintergründe begeistern für die Potentiale der Digitalisierung im Gesundheitssystem. Dabei soll die Digitalisierung nicht Selbstzweck sein, sondern letztendlich uns Menschen unterstützen.“

Für Interesse an Famulaturen, PJ oder Doktorarbeiten gerne melden unter: leonard.fehring@uni-wh.de

 

Sven Meister

Sven Meister ist seit 2021 Inhaber des Lehrstuhls für Gesundheitsinformatik an der UW/H. Er studierte Bio- und Medizininformatik an der Universität Bielefeld, promovierte an der TU Dortmund und arbeitete lange Zeit hauptberuflich als Leiter der Abteilung Gesundheitswesen am Fraunhofer ISST. An der UW/H vertritt er die Digitalisierung im Gesundheitswesen in Forschung und Lehre u. a. im Track Digital Health.

Was ihn treibt: „Nun bin ich weiterhin bei Fraunhofer beschäftig – dort erforscht man die digital-technischen Möglichkeiten. In der medizinischen Versorgung nehme ich jedoch wahr, dass nicht jeder digitalen Innovation im Gesundheitswesen ein Sinn zugesprochen wird. Ich liebe die Möglichkeit der interdisziplinären Forschung und Diskussion mit Mediziner:innen, Pflegewissenschaftler:innen und Techniker:innen, um zukünftig mehr Sinn durch Digitalisierung zu stiften.“

Mehr zum Lehrstuhl, Informationen zu Promotionsthemen sowie Lehrveranstaltungen: https://www.uni-wh.de/gesundheit/department-fuer-humanmedizin/lehrstuehle-institute-und-zentren/lehrstuhl-fuer-gesundheitsinformatik/

 

 

Schreibe einen Kommentar
* Pflichtfelder

Kommentare

Keine Kommentare vorhanden.