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Blog Universität Witten-Herdecke | Warum fehlt Afrika in den Schlagzeilen zur Klimakrise?

Warum fehlt der afrikanische Kontinent in den Schlagzeilen zur Klimakrise?

Afrika ist ein blinder Fleck in der Klimaberichterstattung. Dabei ist der Kontinent am stärksten von der Klimakrise betroffen. Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Magdalene Silberberger aus der Themenreihe „planetare Bildung“ im Vorfeld der SWITCH-Konferenz.

 

Der afrikanische Kontinent stellt knapp 20% der Weltbevölkerung, was etwa dem Anteil Chinas entspricht. Im Gegensatz zu China, welches für etwa 30% der globalen CO2-Emissionen verantwortlich ist, emittiert die afrikanische Bevölkerung weniger als 4% des weltweiten Treibhausgases. Gleichzeitig ist Afrika die am stärksten vom Klimawandel beeinflusste und bedrohte Region. Zusätzlich erhöhen ein geringes Pro-Kopf-Einkommen und fehlende Klimawandelanpassungsmechanismen die Vulnerabilität des Kontinentes.

Die Auswirkungen des Klimawandels, die sich weitestgehend in einer Zunahme der Wetterextreme manifestieren, werden immer deutlicher spürbar. Verknappungen der Frischwasserquellen, ausgedehnte Dürreperioden mit extremer Hitze, heftige Regenfälle mit verheerenden Überflutungen, Zyklone, Waldbrände sowie ein Anstieg des Meeresspiegels treffen den Kontinent besonders hart und erhöhen die bereits bestehende Nahrungsmittelknappheit erheblich. In ihrem Klimabericht für Afrika schätzte die World Meteorological Organization, dass im Jahr 2021 diese Auswirkungen etwa 2,5 Millionen Afrikaner:innen dazu gezwungen haben, ihre Heimat zu verlassen. Insgesamt 19 Millionen Menschen in Afrika waren unmittelbar von Wetterextremen betroffen, und im Jahr 2022 wurden allein dort mindestens 4000 Todesfälle in Verbindung mit dem Klimawandel registriert.

SWITCH-Konferenz an der Uni Witten/Herdecke

In planetaren Zusammenhängen denken und in planetarer Verantwortung handeln

Die SWITCH-Konferenz für planetare Bildung findet am 14. und 15. September an der Universität Witten/Herdecke statt und zielt darauf ab, ein neues Bewusstsein für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Natur, Gesellschaft und Wirtschaft zu vermitteln und völlig neue Lösungen zu entwickeln: Wie können wir lernen, in planetaren Zusammenhängen zu denken und in planetarer Verantwortung zu handeln? Wie gestalten wir ein regeneratives und resilientes Wirtschaftssystem? Wie setzen wir konkrete Nachhaltigkeitsziele um? Was braucht es für neue Formen der Zusammenarbeit? Wie können und müssen wir uns selbst transformieren?

Mehr Infos unter https://planetare-bildung.de.

Offiziell gab es keine einzige Hitzewelle in Afrika – wie kann das sein?

Die Zahl der Toten scheint erstaunlich gering verglichen mit den mindestens 15.000 Hitzetoten in Europa im gleichen Jahr. Und hier liegt auch schon eines der Hauptprobleme der Klimagerechtigkeit. Zwischen 1980 und 2020 wurden in Europa 83 Hitzewellen aufgezeichnet, die insgesamt etwa 140.000 Todesopfer forderten. In Afrika gab es den offiziellen Aufzeichnungen nach zwischen 1900 und 2020 keine einzige Hitzewelle. Schaut man auf die Daten von Versicherungen, sieht man ein anderes Bild. Im „Topics Geo: Natural Catastrophes“-Bericht aus dem Jahr 2010 geht die Münchener Rück von über 600.000 Toten im Zeitraum zwischen 1980 und 2010, die infolge 1.560 Ereignisse von Wetterextremen gestorben sind, aus. Das entspricht einem (überproportional hohen) Anteil von 27% an den globalen Todesfällen durch Naturkatastrophen. Wie kommt es zu diesem vermeintlichen Widerspruch?

Afrika ist ein „Blind Spot“ der internationalen Berichterstattung. Der Bericht „Suffering in Silence“ der Care International legt dar, dass sich neun der zehn am schlechtesten dokumentierten humanitären Krisen von 2019 in Afrika ereigneten. Die mangelnde Berichterstattung geht mit fehlender Finanzierung der Katastrophenbewältigung einher, die ohnehin – insbesondere im Verhältnis zu den Kosten des Klimawandels – gering ist. Das Versprechen der COP15, bis 2020 eine Klimafinanzierung von 100 Milliarden US-Dollar pro Jahr für die ärmsten Länder der Welt bereitzustellen, könnte in diesem Jahr erstmalig eingehalten werden, und die African Development Bank schätzt, dass alleine Afrika bis 2030 etwa 1,4 Billionen US-Dollar an Investitionen für Klimawandelanpassung und -minderung im Rahmen ihrer „nationally determined contributions“ des Pariser Abkommens der COP21 benötigt. Nimmt man historische und zukünftige Emissionen hinzu, wären es im Zeitraum 2022-2250 sogar 4,7 – 4,8 Billionen US-Dollar.

 

 

Wo keine Daten, da keine Maßnahmen

Aber nicht nur in den Medien wird wenig berichtet. Auch konkrete Daten zu den direkten Auswirkungen des Klimawandels und den daraus resultierenden sozialen und ökonomischen Effekten gibt es kaum. Carbon Brief berichtete im Oktober 2022 von „Africaʼs unreported extreme weather...“. Bezogen auf die Hitzewellen bedeutet das, dass sie, in der Wahrnehmung der Weltöffentlichkeit, praktisch nicht stattgefunden haben. Die verfügbaren Daten reichen aber nicht aus, um den Einfluss des Klimawandels auf diese Wetterextreme zu beziffern, Frühwarnsysteme aufzubauen oder konkrete Effekte, sozioökonomische Schäden und Verluste zu erfassen.

In Zeiten eines globalen Datenfetischismus gilt: Wo keine Daten, da auch keine Berichterstattung und kein Geld – und erst recht keine Maßnahmen. Die Gründe für die schlechte Datenlage sind vielfältig: fehlende Infrastruktur, unzureichende institutionelle Ressourcen oder mangelhafte Verwaltungen und der Umstand, dass afrikanische Forschung im Globalen Norden kaum wahrgenommen wird. Letzteres führt zu einer fehlenden Diversität und einer Unterrepräsentation des afrikanischen Kontinents, insbesondere der Realitäten und Erfahrungen vor Ort, aber auch zu Lösungsmöglichkeiten, die nicht denen des Globalen Norden entsprechen. So waren beispielsweise nur 8 von 91 Hauptautor:innen des Sonderberichtes „Global Warming of 1.5°C“ und nur 25 der 489 Fachgutachter:innen Afrikaner:innen. Vor diesem Hintergrund ist es wenig verwunderlich, dass die IPCC Reports verhältnismäßig sichere Prognosen für die Länder des Globalen Nordens machen, die Prognosen für Afrika aber mit sehr viel Unsicherheit behaftet sind.

Mehr dazu im WittenLab-Magazin 4/2023

Sonderausgabe zur SWITCH-Konferenz

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem WittenLab-Magazin 4/2023, das zur SWITCH-Konferenz im September erscheint und sich mit verschiedenen Aspekten planetarer Bildung befasst. Sie können das Magazin nach Erscheinen im Intranet der UW/H herunterladen.

 

Afrikanische Forschung muss dringend gefördert werden

Trotz der fehlenden Daten und Berichterstattung ist bekannt, dass die Zahl der Hitzewellen in Afrika im letzten Jahrzehnt bereits erheblich zugenommen hat. Ab 2045 werden für den Kontinent jährliche Hitzewellen erwartet, bei einem globalen Temperaturanstieg von über 1.5 Grad sogar noch häufigere. Die Klimakrise und mit ihr häufigere Wetterextreme werden nicht (mehr) an uns und an Afrika vorbeiziehen; es ist maximal eine Minderung möglich. Der afrikanische Kontinent muss eine zentrale Rolle im Kampf gegen den Klimawandel spielen und benötigt gleichzeitig die Möglichkeit zur Anpassung an diesen. Dieser Prozess kann nicht vom Globalen Norden aus dirigiert werden. Nationale und internationale Bemühungen sind nötig, um die Datenverfügbarkeit zu erhöhen und afrikanische Forscher:innen in den Prozess einzubinden.

Entwicklungszusammenarbeit sollte wirkliche (Forschungs-)Zusammenarbeit fördern – und damit auch afrikanische Forschung. Die Regierungen der afrikanischen Länder sollten proaktiv die Forschung der Besten in diesem Bereich unterstützen. Die internationale Forschungsgemeinschaft sollte Forscher:innen aus Afrika als Peers sehen, von denen man lernen kann und muss. Je klarer und präziser die konkreten Auswirkungen und Kosten des Klimawandels erfasst werden, desto schwerer fällt es, so zu tun, als gäbe es sie nicht.

Es gibt viele blinde Flecken wie diesen in unserer Weltwahrnehmung (und Beobachtungsmuster, die uns nicht sehen lassen, dass wir nicht sehen), und nicht wenige sind ebenso gigantisch groß wie ein ganzer Kontinent Afrika. Planetar denken zu lernen heißt, uns gerade auch die blinden Flecken unserer Weltbeobachtung bewusst zu machen – und dafür die vielen wichtigen Beobachtungen und Blickwinkel der Menschen auf Augenhöhe miteinzubeziehen, die Welt durch ihre Augen sehen zu lernen und gemeinsam die Zukunft unserer Welt in den Blick zu nehmen.

Magdalene Silberberger

ist Professorin für Development Economics an der Fakultät für Wirtschaft und Gesellschaft der Universität Witten/ Herdecke. Ihr Blick als Entwicklungsökonomin reicht über das Wirtschaftswachstum hinaus und richtet sich auf die Prozesse, durch die Länder den wirtschaftlichen, politischen und sozialen Wohlstand ihrer Bevölkerung verbessern.

Sie ist außerdem Akademische Leiterin des [tra:ce], dem neuen International Center for Sustainable und Just Transformation der UW/H. Das fakultätsübergreifende Forschungszentrum beleuchtet gesellschaftliche, unternehmerische und staatliche Wandlungsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit, Demokratie und Gerechtigkeit:
www.uni-wh.de/trace.

 

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