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Blog Universität Witten-Herdecke | Wie kann Politik eine Stadt in Zeiten der Klimakrise transformieren?

Wie kann Politik eine Stadt in Zeiten der Klimakrise transformieren?

Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, über Mechanismen des politischen Wandels

Obwohl die technischen und finanziellen Möglichkeiten für einen klimagerechten Wandel der Gesellschaft längst vorhanden sind, scheitert die Transformation an politischen Rahmenbedingungen. Mit dieser These hat Prof. Dr. Uwe Schneidewind, Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal, das erste [tra:ce]-Kolloqium der UW/H eröffnet. Er hat vier Mechanismen des Systemversagens identifiziert; doch es gibt auch Signale, die Hoffnung machen.
 

Mechanismen des Systemversagens


1. Komplexität der Probleme
„Ich könnte 500 bis 800 Probleme der Stadt Wuppertal aufzählen“, berichtet Schneidewind. „Das Gemeine ist: Jedes einzelne dieser Probleme ist lösbar. Man hat in der Lokalpolitik aber nur die Kapazität, 20 bis 25 pro Jahr zu lösen. Und die, die du gerade nicht löst, sind dann die, die in der Öffentlichkeit hochkochen. Das ist eine gewaltige Mental Load.“

2. Bürokratie
Bürokratie hat eine positive Seite, weil sie Prozesse definiert, die für jede Person gleich, berechenbar und klar sind – und somit gerecht. Das Dilemma: „In unseren modernen Wohlstandsgesellschaften hatten wir das Privileg, für alle Anliegen – z. B. Umweltschutz oder Soziales – Regelungen finden. Das hat eine Vielfalt von bürokratischen Systemen erzeugt, in denen wir jetzt ersaufen und die den Wandel verlangsamen“, so der Oberbürgermeister.

3. Unterausgeprägte Fehlerkultur
Die politische Logik funktioniere nicht danach, etwas zu bewegen und zu verändern. Vielmehr geht es darum, darauf zu warten, dass andere etwas tun und ihre Fehler zu identifizieren, zu skandalisieren und zu emotionalisieren. Schneidewind: „Politik läuft im Wesentlichen im Kritikmodus. Es ist klüger, nichts zu tun.“ Zwar gingen viele Personen zunächst aus idealistischen Motiven in die Politik, das System funktioniere aber nur über die Machtfrage: „Inhalte spielen oft nur eine untergeordnete Rolle. Sie werden erst dann relevant, wenn sie diesem Spiel dienen.“

4. Kommunalfinanzen und ihre Tücken
Auch die Finanzierung stellt gerade ärmere Städte vor enorme Herausforderungen. Ein Beispiel: Es gibt in Wuppertal viel Armutszuzug. Aufgrund der familiären Bedingungen müssen viele Kinder in Obhut genommen werden. Dies kostet die Stadt einen hohen zweistelligen Millionenbetrag pro Jahr. „Wir sind mit der zynischen Situation konfrontiert, dass die Städte, die solche Probleme nicht haben, fragen, warum wir mit dem Geld nicht zurechtkommen“, berichtet Schneidewind. „Aufgrund dieser Probleme ist die Finanzierung der städtischen Systeme nicht mehr leicht sicherzustellen – was wiederum populistisch ausgenutzt werden kann.“

Doch es gebe auch Hoffnungssignale, so Schneidewind. „Ich mache das trotzdem mit Freude und das hat viel mit den Inseln des Gelingens zu tun.“

Über das [tra:ce]

Um die sozial-ökologische Transformation von Wirtschaft, Staat und Gesellschaft wissenschaftlich zu begleiten und durch konkrete Handlungsempfehlungen voranzutreiben, hat die UW/H im Oktober 2022 das International Center for Sustainable and Just Transformation [tra:ce] gegründet. Das fakultätsübergreifende Forschungszentrum beleuchtet gesellschaftliche, unternehmerische und staatliche Wandlungsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit, Demokratie und Gerechtigkeit.

Mehr Informationen zum [tra:ce] unter uni-wh.de/trace

  

Wie Transformation trotzdem gelingt – die Inseln des Gelingens


Mit den Energien gehen
Auch wenn die systematischen Rahmenbedingungen schwierig sind, gebe es immer wieder Bereiche, in denen sich etwas positiv verändert. Schneidewind priorisiert die oben genannten 800 Probleme nicht alleine nach Wichtigkeit, sondern prüft insbesondere, bei welchen positive Kraft und Energie vorhanden sind; diese Projekte stattet er mit den nötigen Ressourcen aus. So entsteht Veränderung, die wiederum Selbstwirksamkeit und Zuversicht vermittelt und sich auf andere Bereiche ausweitet.

Menschen
Auch wenn die Bürokratie dazu verlockt, die Zuständigkeit auf andere Bereiche zu verschieben, gebe es immer wieder Menschen, die Verantwortung übernehmen, obwohl sie nicht unmittelbar zuständig sind – Menschen, die positive Energie mitbringen, etwas bewegen wollen und sich mit anderen vernetzen, die ebenfalls Veränderung vorantreiben. Schneidewind: „Man darf sich nicht wundern, wie viele es davon gibt: Leute, die Bock auf ihre Stadt haben und durch ihr leuchtendes Beispiel andere inspirieren.“ Solche Menschen bräuchten Führungskräfte, die ihnen den Rücken stärken.

Dachprojekte
Zudem gebe es Leuchtturmprojekte, die eine Organisation dazu zwingen, sich weiterzuentwickeln. Ein Beispiel: Wuppertal richtet die Bundesgartenschau 2031 aus. Für die Stadt ist das eine einmalige Chance, die den Weg zu Förderprogrammen öffnet, nachhaltige Stadtentwicklungsprojekte ermöglicht, weitere öffentliche und private Investitionen bewirkt und überregional Besucher:innen anlockt. Der größte Vorteil liege in der zeitlichen Frist, so Schneidewind: „Das Projekt muss im April 2031 fertig sein. Damit wird dem Gesamtapparat einer seiner liebsten Mechanismen genommen: Zeitverschiebung. Das System ist unendlich stark in den Begründungen, warum sich ein Projekt verzögert. Bei einer Bundesgartenschau geht das nicht.“ Solche physisch erfahrbaren Leuchtturmprojekte seien für die Stadtentwicklung ein wichtiger Motor.

Raum für Experimente
Um zu erforschen, was in einem System möglich ist, braucht es dem Oberbürgermeister zufolge zudem den Mut zu Experimenten: „Wir brauchen Räume, in denen wir andere Regularien ausprobieren und schauen können, was diese bewirken.“ So würde Schneidewind am liebsten fünf Regionen testweise erlauben, für den Ausbau von Solar den Denkmalschutz außer Kraft zu setzen, um dann zu schauen, wie sich das auf die Energiewende auswirkt. Wenn das Experiment scheitert, ließen sich Solarpanels problemlos wieder abbauen. Solche Reallabore gewönnen mehr und mehr an Bedeutung und würden deshalb in vielen Kommunen verstärkt eingesetzt.

Auch wenn die Rahmenbedingungen für den Wandel schwierig sind, zeige die Stadtentwicklung, dass Veränderung mit solchen „Inseln des Gelingens“ durchaus möglich ist. „Wir dürfen trotz des Systemversagens unsere Entwicklungsfähigkeit nicht aus dem Auge verlieren“, so Schneidewind.

Prof. Dr. Uwe Schneidewind

Als ehemaliger wissenschaftlicher Leiter des Wuppertal-Instituts, Professor für Innovationsmanagement und Nachhaltigkeit an der Bergischen Universität Wuppertal und Autor hat sich Prof. Dr. Uwe Schneidewind intensiv mit Transformationsmechanismen beschäftigt, bevor er seit 2020 ihre konkrete Umsetzung als Oberbürgermeister der Stadt Wuppertal in der politischen Praxis direkt erfahren durfte. Zuvor war er u. a. Präsident der Universität Oldenburg. Zudem war er Aufsichtsratsvorsitzender der Universität Witten/Herdecke.

Zum Thema des Vortrags hat Uwe Schneidewind auch einen Artikel für die „Kulturpolitischen Mitteilungen“ verfasst, der hier kostenlos als Download verfügbar ist.

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