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Blog Universität Witten-Herdecke | Zentralbanken als Klimaretterinnen?

Zentralbanken als Klimaretterinnen?

Geldpolitische Herausforderungen in Zeiten der Klimakrise

 

Obwohl sich die Klimakrise weltweit immer weiter zuspitzt und jedes Jahr neue Hitzerekorde, längere Dürreperioden und stärke Überschwemmungen verzeichnet werden, zögern die meisten Regierungen weiterhin, kraftvolle und effektive Maßnahmen gegen den Klimawandel zu verabschieden und umzusetzen. Dies führt dazu, dass immer mehr Zentralbanken erwägen, geldpolitisch einzugreifen. Auf den ersten Blick ist die Entwicklung verwunderlich. Auf den zweiten aber ergibt sie durchaus Sinn. 
Ein Gastbeitrag von Prof. Dr. Joscha Wullweber aus der Themenreihe „planetare Bildung“ im Vorfeld der SWITCH-Konferenz.

Der Grund für den derzeit stattfindenden Wandel in diesen höchst konservativen Institutionen ist darin zu finden, dass wissenschaftlich immer deutlicher wird, dass durch eine Fortsetzung der derzeitigen Politik die globale Erwärmung auf über 1,5 Grad und wahrscheinlich auch über 2 oder gar 3 Grad ansteigen wird. Eine solche Entwicklung hätte katastrophale Auswirkungen auf Umwelt, Mensch und Gesellschaft.

Nun sind Zentralbanken kein Umweltamt. Allerdings hätte eine solche Erwärmung auch stark destabilisierende Auswirkungen auf die Preisstabilität und die Stabilität des gesamten Finanzsystems.

Warum immer mehr Zentralbanker Alarm schlagen

Mit der Verschärfung der Klimakrise haben sich daher einige Zentralbanker öffentlich sehr besorgt geäußert. Der ehemalige Gouverneur der Bank of England, Mark Carney, ging 2015 mit einer bahnbrechenden Rede voran, in der er entschlossenes Handeln der Regierungen forderte, um „die Tragödie des Horizonts zu durchbrechen“. Seinem Plädoyer schlossen sich andere einflussreiche Stimmen an, darunter die Präsidentin der Europäischen Zentralbank Christine Lagarde, die erklärte, sie werde „jeden verfügbaren Weg zur Bekämpfung des Klimawandels erkunden“.

Inzwischen wird davon ausgegangen, dass ein sogenanntes Grüner-Schwan-Ereignis immer wahrscheinlicher wird. Grüne Schwäne bzw. klimabedingte schwarze Schwäne stellen eine neue Art von Finanzkrisen dar. Diese Risiken sind durch große Ungewissheit und Nichtlinearität gekennzeichnet, die Wahrscheinlichkeit ihres Auftretens lässt sich kaum vorhersagen, und ihre Auswirkungen sind potenziell weitreichend oder extrem. Im Gegensatz zu den Schwarzer-Schwan-Risiken, die im Allgemeinen unerwartet und selten auftreten, steigt die Wahrscheinlichkeit künftiger Grüner-Schwan-Ereignisse mit der Intensivierung des Klimawandels deutlich an. Darüber hinaus bedroht die Klimakrise die Existenz der Menschheit selbst, einschließlich unvorhersehbarer, interagierender, nichtlinearer, teilweise irreversibler ökologischer, geopolitischer, sozialer und wirtschaftlicher Dynamiken und Auswirkungen.

Dementsprechend stellt der Klimawandel „eine noch nie dagewesene Herausforderung für die Steuerung der globalen sozioökonomischen und finanziellen Systeme dar“ (bis.org). 

SWITCH-Konferenz an der Uni Witten/Herdecke

In planetaren Zusammenhängen denken und in planetarer Verantwortung handeln

Die SWITCH-Konferenz für planetare Bildung findet am 14. und 15. September an der Universität Witten/Herdecke statt und zielt darauf ab, ein neues Bewusstsein für die komplexen Wechselwirkungen zwischen Natur, Gesellschaft und Wirtschaft zu vermitteln und völlig neue Lösungen zu entwickeln: Wie können wir lernen, in planetaren Zusammenhängen zu denken und in planetarer Verantwortung zu handeln? Wie gestalten wir ein regeneratives und resilientes Wirtschaftssystem? Wie setzen wir konkrete Nachhaltigkeitsziele um? Was braucht es für neue Formen der Zusammenarbeit? Wie können und müssen wir uns selbst transformieren?

Mehr Infos unter https://planetare-bildung.de.

 

Dürfen Zentralbanken in den Finanzmarkt eingreifen, um den Klimawandel abzumildern?

2017 wurde das Netzwerk der Zentralbanken und Aufsichtsbehörden zur nachhaltigen grünen Gestaltung des Finanzsystems (NGFS) von acht Zentralbanken gegründet. In nur sechs Jahren ist die NGFS auf 114 Mitglieder und 18 Beobachter angewachsen. Auch wenn die Anpassung der Geldpolitik zur Bewältigung der Klimakrise bereits ein gewaltiger, hoch unkonventioneller Schritt wäre, geht es aus einer politisch-ökonomischen Perspektive um weit mehr.

Was wir derzeit in Bezug auf die Klimageldpolitik erleben, ist ein Suchprozess, in dem das Verhältnis zwischen Markt und Staat sowie das Verhältnis zwischen Zentralbank (Geldpolitik) und Regierung (Fiskalpolitik) neu ausgelotet wird.

Hierbei handelt es sich jedoch nicht einfach um einen bürokratisch-unpolitischen Prozess, in dem dysfunktional gewordene geldpolitische Ansätze über Bord geworfen würden. Bei diesem Suchprozess geht es um eine Neuverhandlung der Rolle des Staates im Allgemeinen und der Zentralbanken im Besonderen, die möglicherweise an den Grundfesten der vorherrschenden und institutionell verfestigten Rollenverteilung und Geldpolitik rüttelt.

Demnach wird derzeit hinsichtlich Geldpolitik um die Frage gerungen, ob es legitim ist, dass Zentralbanken in den Finanzmarkt eingreifen, um die Klimakrise abzumildern, und wenn ja, wie umfangreich diese Eingriffe sein dürfen. Bezogen auf das Staat-Markt-Verhältnis stellt sich die Frage, inwieweit der Markt in der Lage ist, angemessen schnell und effektiv der Klimakrise zu begegnen und wie stark der Staat wirtschaftlich lenken muss, damit eine nachhaltige und gerechte Transformation rechtzeitig angestoßen und umgesetzt wird.

Bezogen auf den Bereich der Klimagovernance des globalen Finanzsystems handelt es sich also um ein komplexes Problem kollektiven Handelns, das eine enge Koordinierung der Bemühungen zwischen und unter einer Vielzahl von Akteur:innen und Institutionen erfordert, darunter Zentralbanken, Regierungen mit ihren Ministerien, die verschiedenen Akteur:innen des Finanzsektors, Wirtschaft, Zivilgesellschaft, die internationale Forschungsgemeinschaft und internationale Regulierungsbehörden.

Mehr dazu im WittenLab-Magazin 4/2023

Sonderausgabe zur SWITCH-Konferenz

Dieser Beitrag ist ein Auszug aus dem WittenLab-Magazin 4/2023, das zur SWITCH-Konferenz im September erscheint und sich mit verschiedenen Aspekten planetarer Bildung befasst. Sie können das Magazin nach Erscheinen im Intranet der UW/H herunterladen.

 

Sollten die Mandate der Zentralbanken erweitert werden?

In dieser Konstellation spielen die Zentralbanken eine zentrale Rolle. Das wirft die Frage auf, ob die Mandate der Zentralbanken um Nachhaltigkeitsaspekte erweitert werden sollten, die in den bestehenden rechtlich-institutionellen Rahmenwerken noch nicht enthalten sind. Auch wenn eine solche Mandatserweiterung ein wichtiges klimapolitisches Zeichen wäre und von vielen auch als notwendig erachtet wird, ist sie aus zwei Gründen nicht zwingend notwendig.

Erstens bildet die Tatsache, dass einige Zentralbankmandate die Förderung der Finanzstabilität beinhalten, bereits eine Grundlage für die Einschätzung, dass die Befugnisse der Zentralbanken ausreichen, um den Risiken des Klimawandels zu begegnen. Zweitens besitzen einige Zentralbanken das Mandat, die wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Prioritäten ihrer Regierung zu unterstützen, was ihr Eingreifen im Interesse des Klimaschutzes rechtfertigen würde, zumindest dort, wo Nachhaltigkeitsbelange als eine staatliche Priorität angesehen werden.

Während einige geldpolitische Instrumente im Rahmen der bestehenden Mandate umgesetzt werden könnten, würden wirklich effektive Maßnahmen wahrscheinlich Anpassungen der Mandate und auch die Aufgabe des Grundsatzes der Marktneutralität erfordern. Vor allem wäre durch solch eine Anpassung deutlich mehr politische Legitimität für klimapolitische Maßnahmen der Zentralbanken gewonnen.

Wirksame Antworten auf die Klimakrise erfordern außerdem eine starke Koordinierung zwischen Geld- und Fiskalpolitik, eine rote Linie, die derzeit nur in Krisen überschritten wird. Es ist also noch ein weiter Weg, bis zumindest einige der möglichen Instrumente umgesetzt werden können. Die gute Nachricht ist, dass die Hürden, die einem proaktiven Ansatz der Zentralbanken zur Bekämpfung des Klimawandels im Wege stehen, nicht auf wirtschaftlichen Zwängen oder Naturgesetzen beruhen. Die roten Linien der bis dato sehr marktliberalen Geldpolitik wurden bereits notwendigerweise während der globalen Finanzkrise und der Covid-19-Krise überschritten.

Es ist an der Zeit, die Bedrohung durch den Klimawandel mindestens auf die gleiche Stufe wie die anderen großen Finanz- und Wirtschaftskrisen zu stellen. Letztlich ist es eine politische und gesamtgesellschaftliche Frage, ob Schritte in diese Richtung unternommen werden.

Joscha Wullweber

Prof. Dr. Joscha Wullweber ist Heisenberg-Professor für Politische Ökonomie und Transformation an der Universität Witten/Herdecke. Mehr über das Thema dieses Beitrags berichtet er auf der SWITCH-Konferenz für planetare Bildung.

Wullweber ist außerdem Mitinitiator des [tra:ce], dem neuen International Center for Sustainable und Just Transformation der UW/H. Das fakultätsübergreifende Forschungszentrum beleuchtet gesellschaftliche, unternehmerische und staatliche Wandlungsprozesse hin zu mehr Nachhaltigkeit, Demokratie und Gerechtigkeit: www.uni-wh.de/trace.

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