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Blog Universität Witten-Herdecke | Frederike Westphalen: „Mutiges Handeln lässt die Demokratie leben“

„Mutiges Handeln lässt die Demokratie leben“

Warum Alumna Frederike Westphalen zu mehr politischem Engagement aufruft

Die Brandmauer nach rechts bröckelt – und UW/H-Alumna Frederike Westphalen warnt vor den Folgen. Als Referentin für Reden und Texte im Bundesministerium der Verteidigung ist sie Zeugin der politischen Umbrüche, die durch die unerwarteten Neuwahlen ausgelöst wurden. Im Interview erklärt sie, wie diese die Arbeit im Ministerium unter der Leitung von SPD-Minister Boris Pistorius verändert haben und wo aus ihrer Sicht die größten Herausforderungen liegen.

Die unerwartete Neuwahl hat sicherlich Dynamik und Unsicherheiten ins Ministerium gebracht. Was hat sich verändert – und wie gehen Sie und Ihre Kolleg:innen damit um?

Wenn ich eines im Verteidigungsministerium gelernt habe: Nichts ist so beständig wie die Lageänderung.

Die strategische Planung des Ministeriums und die Zeitlinien der Gesetzgebungsverfahren waren mit der Ankündigung der Vertrauensfrage von einem auf den anderen Tag hinfällig. Das bedeutete aber nicht, dass sämtliche Vorhaben auf Eis gelegt werden mussten. Im Gegenteil: Ein unglaublicher Endspurt war eingeläutet. Operative Kapazitäten wurden vollkommen ausgeschöpft, prozessuale Verfahren maximal beschleunigt und – das ist das Besondere an der Situation – im Parlament musste wieder aktiv für Mehrheiten geworben werden.

Was war dabei die größte Herausforderung?

Der Bruch der Koalition bedeutete den Übergang zur Minderheitsregierung. Deshalb musste auf einmal nicht nur mit sehr viel mehr Druck, sondern auch mühsamer gearbeitet werden. Für jeden weiteren Beschluss galt es, die Unterstützung anderer Parteien zu finden und die Mehrheit vorab zu sichern.

Trotz aller Mühen gibt es dennoch Gesetzesvorhaben, die nicht mehr in dieser 20. Legislaturperiode beschlossen werden können. Doch die Entwürfe beziehungsweise deren Vorarbeit sind ja nicht aus der Welt. Sie können so vorbereitet werden, dass die folgende Regierung nahtlos daran anknüpfen könnte.

Um zu verhindern, dass im Vakuum zwischen Neuwahl und Regierungsbildung die begrenzten Handlungs- und Entscheidungsmöglichkeiten zum Verhängnis werden, muss vor der Wahl bereits der Zeitraum unmittelbar nach der Wahl mitgedacht werden. Dazu gehören Maßnahmen wie beispielsweise die vorgezogene Verlängerung der im Frühjahr auslaufenden Mandate für Auslandseinsätze. Schließlich weiß niemand genau, wann sich die neue Regierung gebildet haben wird und Parlamentsbeschlüsse wieder möglich sein werden.

Über all dem steht aber fest: Die Neuwahl ist ein legitimer Schritt unserer Demokratie. So können wir Wählerinnen und Wählern als Souverän unsere Entscheidungsmacht darüber ausüben, wie es weitergehen soll. Das ist etwas sehr Wertvolles.

Was inspiriert Sie an Menschen, die sich für die Demokratie engagieren und was kann jede:r Einzelne konkret tun, um einen Beitrag zu leisten?

Wir haben uns an die Demokratie gewöhnt. Junge Generationen wie die meine kennen aus eigener Erfahrung keine andere Staatsform, was sie in unseren Köpfen zur Selbstverständlichkeit hat werden lassen. Dabei vergessen wir zu schnell, was sie einmal gekostet hat. Wir müssen diesen Schatz, der einst für uns erkämpft wurde, für künftige Generationen bewahren. Und ja, das kostet Kraft und Mut. Doch neutral zu sein, reicht jetzt nicht mehr aus.

Was ich sagen will: Unsere Demokratie wird allmählich von innen ausgehöhlt. Im Bundestag wird an einem einzigen Tag morgens noch den Opfern des Holocausts gedacht und am Abend jubeln Rechtsextremisten, weil mit der AfD eine Mehrheit im Parlament zustande kommt. Das ist ein Warnschuss, wie er lauter nicht sein könnte. Die Brandmauer nach rechts bröckelt und droht, endgültig niedergerissen zu werden. Das müssen wir verhindern, bevor ein Flächenbrand unaufhaltsam wird. Wir sind an einem Punkt angelangt, wo wir uns fragen müssen, welche Rolle wir in der Geschichte einnehmen wollen. Die Rolle derjenigen, die sich für unmündig erklären und ihre Wünsche und Werte für den Willen anderer eintauschen? Oder doch lieber die Rolle derer, die den Mut haben, sich im Kant’schen Sinne ihres eigenen Verstandes zu bedienen? Mutig zu handeln verlangt Einiges, lässt aber die Demokratie leben.

Und genau das inspiriert mich am meisten an Menschen, die für unsere Demokratie kämpfen – dass sie nicht die Realität verweigern oder gar nach egoistischen Maximen handeln, sondern ihre Kraft und ihre Lebenszeit für unser Wohl und Werte einsetzen.

Das ist etwas, das jede und jeder Einzelne von uns leisten kann. Die Demokratie verleiht unserer Stimme Gehör. Nutzen wir also unsere Stimme für die Demokratie! Damit meine ich gar nicht unbedingt das Engagement in einer demokratischen Partei. Täglich begegnen wir Desinformationen, Hass und Hetze. Diese als solche zu identifizieren, die Beweggründe dahinter auszumachen, klar zu widersprechen und mit Argumenten zu entkräften, ist ein wichtiger Beitrag – auch wenn es unangenehm sein kann.

Hass und Hetze nehmen auch in der digitalen Welt stärker zu. Die Studie 'Angegriffen & alleingelassen' der TU München zeigt, dass diese Entwicklung viele politisch Engagierte stark belastet und teilweise sogar zum Rückzug bewegt. Wie erleben Sie digitale Gewalt in Ihrem beruflichen Umfeld?

Was ich gerade beschrieben habe, wie sich Menschen für unser Allgemeinwohl engagieren, was sie dafür leisten und aufopfern, beobachte ich tagtäglich – früher im Bundestag und jetzt im Ministerium. Gleichzeitig habe ich das Gefühl, die Kritik an diesen Menschen nimmt zu und der Respekt vor ihrer Arbeit geht verloren. Das tut mir in der Seele weh, vor allem, weil ihr Engagement nicht nur bagatellisiert wird, sondern ihnen gar Inkompetenz und Böswilligkeit unterstellt wird.

Gerade jetzt im Wahlkampf werden Desinformationskampagnen, destruktive Narrative und die Finanzierung demokratiefeindlicher Parteien durch ausländische Akteure als Mittel zur Einflussnahme genutzt, vor allem in Social-Media-Netzwerken. Regierungen und Sicherheitsbehörden machen sich viele Gedanken zu Schutzkonzepten und adäquaten Maßnahmen. Klar bleibt aber, es handelt sich um eine komplexe Angelegenheit, für die es keine Allzwecklösung gibt.

Sie sind jetzt seit August für ein Praxisjahr im Verteidigungsministerium als Referentin für Reden und Texte für die Parlamentarische Staatssekretärin Siemtje Möller tätig. Welche Fähigkeiten oder Erfahrungen aus Ihrem PPÖ-Studium konnten Sie in Ihrer aktuellen Position anwenden?

Aus dem PPÖ-Studium habe ich ganz klar das Bewusstsein für die Vielfältigkeit von Perspektiven und Herangehensweisen mitgenommen. Wenn ich beginne, eine Rede zu schreiben, überlege ich zuerst: Wer ist das Publikum? Richtet sich die Rede zum Beispiel an Parlamentarier, Regierungsmitglieder anderer Nationen, an die Rüstungsindustrie oder an die Truppe direkt? Und fast noch wichtiger: Wofür stehen diese Menschen? Was motiviert und bewegt sie? Nur wenn ich das verstehe, kann ich die Zuhörerinnen und Zuhörer mit meinen Worten erreichen.

Was ganz sicher auch hilfreich war, ist, dass an der UW/H stark auf die Klarheit von Argumenten geachtet wurde. Für das Redenschreiben ist es unabdingbar, logisch scharfe Argumentationsketten formulieren zu können.

Und was haben Sie neu dazugelernt?

Etliches, darunter zum Beispiel Umgangsweisen diplomatischer Angelegenheiten, Vorteile und Herausforderungen eines ministeriellen Apparates als auch die Sprache des Militärs. Allem voran würde ich jedoch das gewisse politische Feingefühl anführen, das sich auf der strategischen und taktischen Ebene einer ministeriellen Leitung abspielt. Das ist einfach etwas, das kann man sich nicht durch Bücher oder Kurse aneignen, sondern erfährt es jeden Tag ein Stückchen mehr.

Wo sehen Sie sich nach dem Praxisjahr? Haben die Erfahrungen im Ministerium Ihre beruflichen Ziele bereits verändert oder geschärft?

Es bereitet mir unheimlich viel Freude, Reden und Texte zu schreiben. Ich finde, Kommunikation als Bindeglied zwischen Volksvertretern und Bevölkerung ist unheimlich wichtig, weshalb ich meine Arbeit als sinnstiftend empfinde. Das bedeutet mir viel.

Die Erfahrungen, die ich im Verteidigungsministerium mache, sind krass. Gleichzeitig haben mein Wissen und meine Kenntnisse über die Sicherheitspolitik ein ganz neues Level erreicht. Mit dem Verstehen nimmt auch die Faszination immer mehr zu. Die große Weltpolitik fühlt sich mit einem Schlag sehr viel greifbarer an. Manchmal verunsichert das, manchmal schüchtert es etwas ein. Doch in erster Linie erweckt es Neugierde auf mehr. Sich in einem solchen Rahmen sehr selbstständig bewegen zu dürfen, empfinde ich als großes Privileg.

Das motiviert mich, diese einzigartigen Erfahrungen in meine berufliche Zukunft einbringen und erweitern zu wollen. Neben meinem Streben nach mehr Tierwohl schärfen ganz besonders die Einblicke in die Hintergründe internationaler Beziehungen meinen festen Willen, Politik mitgestalten zu wollen – in welcher Form auch immer, das wird die Zukunft zeigen.

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